Letztes Jahr mitten im Juli habe ich in meine Geldbörse geschaut und gefragt, was nun bald alles in mein Smartphone wandern wird. Der mPayment News-Ticker lief derzeit heiß. Das klang erst mal vielversprechend. Das war zwar nicht die erste Euphorie Phase, aber das erste Mal, dass die Smartphone Durchdringung in Europa massentaugliche Dimensionen entwickelte.
Und es ließ sich im Sommer 2012 eine Tendenz beobachten: Anbieter kündigten immer vollwertigere Mobile Wallets an, die weit über die simple Digitalisierung eines Zahlungsmittels hinausgehen. Die Visionen nahmen durch Produktfeatures immer konkretere Formen an. Oft allerdings noch als Ankündigung und nicht als marktreifes Produkt.
Ein Jahr später, wo sind wir angekommen?
Dieses Mobile Payment Update soll eine erneute Bestandaufnahme zeigen, aber vor allem die Fortschritte aus 12 Monaten Arbeit bewerten. Sind die großmundigen Ankündigungen in der Realität eines Normalkunden angekommen? Oder zumindest bei den Early Adoptern?
Ein Blick in die Geldbörse
Ein Blick in meine Geldbörse verrät mir: Die sieht immer noch so aus wie letztes Jahr. Bis auf einen feinen Unterschied: ein Aufkleber, ungefähr so groß wie zwei 2-Euro Stücke, steckt drin. Das ist der „Mobile Payment Sticker“ der Targobank. Der klebt allerdings nicht wie vorgesehen auf meinem Handy, weil dann die interne NFC-Funktion gestört wird. Also benutze ich den Sticker wie eine Plastikkarte, was es ja eigentlich auch ist.
Jetzt ein Blick in mein Handy. Da gibt es zwar ein paar Couponing Apps. Aber zum Bezahlen in einem stationären Ladengeschäft habe ich da nichts. Ja, wenn ich wollte, könnte ich die Netto App umständlich an mein Bankkonto anschließen. Oder ich könnte einen Mobilfunkvertrag bei O2 abschließen und mich dann als Beta-Tester für die O2 Wallet registrieren. Dann müsste ich nur noch ein Geschäft finden, wo das auch angenommen wird. Und dabei am besten nicht erzählen, dass ich per Smartphone bezahlen möchte, weil dann wäre der Verkäufer verunsichert, würde seinen Manager rufen und mein Bezahlprozess würde 15 Minuten dauern, nachdem ich als Kunde allen Angestellten rückversichert hätte, dass das alles wirklich funktioniert (dies sind übrigens reale Praxiserfahrungen von anderen Kontaktloszahlern). Vielleicht ist das besser in den 100 HIT-Märkten, die ab jetzt mobiles Bezahlen per O2 Wallet akzeptieren.
2013 ist nicht das Jahr des Mobile Payment
Kurz und gut: In 2013 haben wir natürlich immer noch keinen Massenmarkt für Mobile Payment. Auch noch keinen Early Adopter Markt. Und das ist auch nicht überraschend, denn aktuell gibt es noch kaum verfügbare Services. So stellt auch der Marktforscher Berg Insight fest, dass aktuell erst in 13 Ländern Wallet Services am Markt sind, wovon nur in drei Fällen die effektiv adressierbare Kundenanzahl größer 100.000 ist. Das ist nicht viel.
In Nordamerika wurden in 2012 mobile Zahlungstransaktionen in Höhe von 500 Mio US$ durchgeführt, der Löwenanteil davon geht auf das Konto von Starbucks und seiner erfolgreichen Zahlungsfunktion in der Loyalty-App. Javelin Strategy & Research beziffern die mobilen Zahlungen im US-Einzelhandel in 2012 auf 0,01% des Gesamtumsatzes am stationären POS.
Handlungsbedarf im Handel?
Diese Zahlen werden wachsen, aber das Smartphone wird nicht auf die Schnelle das Gros der Zahlungen im Einzelhandel übernehmen. Gleichzeitig sollten Einzelhändler dieses Thema nicht auf die lange Bank schieben, denn eine Erneuerung der In-store Shopping Experience wird langsam überfällig und hier spielt das Smartphone eine wesentliche Rolle. Wer heute nicht anfängt, könnte bald sehr schnell gestrig aussehen. In diesen Punkten sind sich auch die Martkforscher einig, selbst wenn deren konkrete Prognosewerte teilweise erheblich voneinander abweichen. Vielleicht sind die genauen Zahlen auch nicht wesentlich, sondern es handelt sich eher um einen strategischen Paradigmenwechsel. Und darin ist Mobile Payment ein unvermeidbarer Bestandteil.
Technologie sollte nicht im Fokus stehen, aber dennoch ein Wort zu NFC
Um auch dem Thema NFC noch ein Wort zu widmen: Berg Insight erwartet für 2017, dass 87% der stationären POS in Europa mit NFC ausgerüstet sind und ein Drittel der Smartphones. Damit lässt sich eine kritische Masse erreichen. Allerdings haben die meisten renommierten Analysten-Häuser ihre Vorhersagen bezüglich NFC-Payments und mPayments im Allgemeinen in diesem Jahr drastisch reduziert. Gartners Prognose für NFC-Bezahldienste in 2017 fällt nun 40% kleiner aus als noch 2012. Der Markt kommt weiterhin nicht richtig in Schwung. NFC hat in der Transaktionsgeschwindigkeit weiterhin die besten Voraussetzungen (das sagen sogar bedeutende Handelsketten), aber andere Technologien (z. B. QR-Code) kommen derzeit schneller aus den Startlöchern. Langfristig bleibt zu beobachten, wer sich in der Convenience und allgegenwärtigen Verfügbarkeit durchsetzen kann.
Mit welcher Technologie auch immer, recht sicher kann man wohl sagen, dass alternative Zahlungsmethoden sich ihren Platz im Zahlungsportfolio erobern werden. Während 2010 nur 1% aller bargeldlosen Transaktionen mit alternativen Zahlungsmitteln durchgeführt wurde, schätzt AT Kearney dessen Anteil in 2020 auf bis zu 20%.
Mobile Payment SWOT Serie
Ab dem nächsten Teil dieser Mobile Payment Serie werden einzelne Player im Markt unter die Lupe genommen und ihre Fortschritte zwischen 2012 und 2013 analysiert. Jede Gattung von Unternehmen soll dabei einer SWOT Analyse unterzogen werden, um ihre Chancen für die Zukunft auszuloten.
Nachtrag:
In dieser Serie sind erschienen:
Teil 1: was gibt es Neues im Sommer 2013?
Teil 2: Definitionen
Teil 3: Mobilfunkanbieter mit aller Kraft voraus?
Teil 4: GAFA – Haben die digitalen Giganten die Lösung zum Problem ?
Teil 5: Microsoft & Samsung – Möchtegern oder Me-Too?
Teil 6: Banken – Wo bleiben sie denn?
Teil 7: Kreditkartenunternehmen – In der Ruhe liegt die Kraft?
Teil 8: Händler – näher dran am Kunden?
Teil 9a: Startups – wie kommt man auf diese Idee (Clusterung nach Assets & Traction)
Teil 9b: Startups – welche Erfolgschancen?
Teil 10: PayPal baut eine Rakete
@jochen: totale Übereinstimmung. Das hatte ich mit meinem ersten Satz versucht anzudeuten – unterscheiden wir erstmal was es ist. Aber leider habe ich dann auch nur zum Handel in der realen Welt was gesagt. Aber du hast völlig recht!
Eine gelungene aktuelle Einschätzung
https://www.nytimes.com/features/membercenter/billing_maintenance.html
ja, ein schöner Rundumflug aus Konsumentenperspektive. Danke für den Link.
Hi Ihr beiden!
Wer sagt denn dass mobile Payment ausschliesslich im stationären Handel statt findet? Ich denke hier liegt eines der großen Wahrnehmungsprobleme und Gründe für das bisherige Scheitern.
Keines der erwähnten Projekte (Targo, O2, Netto etc.) hat eine wirkliche Value Proposition für Handel und Käufer. Hier suchen technische Lösungen einen Markt – das hat noch nie funktioniert.
Wo mobile Payment sich jedoch heimlich, still und leise durchgesetzt hat ist im (mobilen) Internet – warum wird das immer vergessen oder gar ignoriert?
Fakten: 20% des globalen PayPal-Volumens sind bereits durch mobile Endgeräte durchgeführt (DE 12,5%) – Quelle PayPal Aussage beim EHI Kartenkongress 2013. Auch ist im digitalen Content Mobile Payment mit eine der Hauptzahlmethoden. Bei uns als weltweit führenden Online-Gaminganbieter ist Mobile Carrier Billing/Payment (aka SMS Payment) die zweitwichtigste Zahlmethode (gemessen am Umsatz).
Daher: Es werden Milliarden an EUR/USD bereits heute mobil bezahlt! Mobile Payment IST bereits etabliert. Nur die ganzen NFC-POS Versuche setzen sich seit Jahren nicht durch, weil ihnen das allerwichtigtste Kriterium fehlt: Value Proposition – welches Problem löst es für den Handel und den Verbraucher? Nur ein anderer Formfaktor der bestehenden Karte ist keine Innovation und diese aus meiner Sicht von Anfang an offensichtliche Tatsache verstehen langsam diejenigen, die seit Jahren NFC herbeibeten ohne sich über Uses Cases, Value Proposition etc. Gedanken zu machen.
VG
Jochen
Ja ich glaube, ich werde doch noch einen Artikel mit Definitionen und Abgrenzung in die Serie einschieben. Bei Präsentationen mache ich das meisten, hier hatte darüber nachgedacht und verworfen. Aber mir wird klar, die Definitionsfrage ist und bleibt wichtig. Dazu dann mehr später in der Woche.
Also zumindest für die netto APP würde ich der Aussage widersprechen, dass es keine Value Proposition für Handel und Käufer gibt.
Die APP enthält Zahlung ein Couponong und besonders gelungen finde ich den BON aufs Handy.
Unter einer wirklicher Value Proposition verstehe ich einen DEUTLICHEN Vorteil. Warum muss man noch immer Schlange stehen an der Kasse? Warum muss der Händler noch immer irgendwas in die Kasse eintippen?
Wenn der Kunde schon alles scannt und mobil bezahlt, dann sollte es doch kein Problem sein den Laden sofort zu verlassen (a la Ikea) und Netto führt per Stichprobe Tests am Ausgang durch ob die Kunden auch wirklich alles bezahlt haben.
Warum ist denn Starbucks mit mobile payment so erfolgreich? Weil die Kunden vorab bestellen können und an der Schlange vorbei sofort ihren Kaffee abholen.
So hat Netto eine App gebaut die nicht Fisch und nicht Fleisch ist. Gute Idee, ja richtig, aber noch komplett in der „alten“ Denke und Prozesse verhaftet, die im Payment immer noch Kasse/Karte zentriert ist.
Sehe ich auch so. Immerhin guckt Netto nicht nur allein auf das Mobile Payment, sondern integriert mit Loyalty, usw. Aber irgendwie ist es dann doch sehr „einfach mal hinten drangehängt“.
Und was mich oftmals stört: Wenn die Schritte im Ablauf sich dann verdoppelt und verdreifachen bzw. sehr fehleranfällig sind. Wo bleibt denn da der Convenience Gedanke (schneller, einfacher & besser).
Da stimme ich Jochen zu, es ist einfach nur „Replacement“ einer bestehenden Funktion, aber komplizierter! Ne echte Value Proposition ist das nicht, auch keine echte Innovation.
Dennoch sehe ich Netto als sehr wichtigen Leuchtturm, um das Thema zu kommunizieren und endlich näher an den Kunden ranzurücken mit konkreten Praxisbeispielen.
Hi André, mein Standpunkt ist aus meiner Sicht gar nicht so „schwarz“, zumindest will ich damit keine Schwarzmalerei machen. Mein Ziel ist es vielmehr, einen realistischen Kontext darzustellen. Und das Thema MP wird immer noch gerne gehypt. Da werden dann große Headlines geschrieben, dass „MP hebt nicht ab“, „Großer Retailer glaubt nicht an MP“, „Keiner will MP“, „MP Prognose drastisch reduziert“,….. Dabei wird dann kaum darüber gesprochen, dass für die große Mehrheit der Konsumenten gar keine Services zur Verfügung stehen, eine massenhafte Nutzung also gar nicht entstehen kann, weil es nur einzelne Nischenlösungen gibt. Die „Leuchttürme“ sind dabei wenige und vielfach auch noch sehr jung. Und leider sind viele davon so kompliziert im Setup oder in der Nutzung, dass selbst ich als Super-Friendly-User die Lust verliere. Aber sie sind trotzdem sehr wichtig und ich begrüße sie sehr. Es braucht mehr davon, ohne dass der Konsument so verwirrt wird, dass er hinterher die Lust daran verliert. Es bleibt es komplexe Herausforderung. Mir ist dabei wichtig, die Erwartungshaltung nicht zu hoch anzulegen, gut Ding will Weile haben. So auch im Mobile Wallet Thema. Im Gartner Jargon würde man dann sagen: vom „Peak of overinflated expectations“ in Richtung zur „Slope of enlightment“. Dazwischen liegt aber eben noch das „Trough of Disillusionnement“.
Du hast bei vielem auch aus meiner Sicht recht, Maike.
Allerdings sehe ich es nicht ganz so schwarz, da wir mal wieder mobile Payment unterscheiden müssen. Ich denke, dass sich auf der händlerseite durchaus was getan hat. Seien es einzelne Leuchttürme wie netto, edeka, mytaxi oder die diversen dongle Player nach dem Vorbild Square. Was uns allerdings weiter fehlt ist die Lösung für den Endkunden. Bis auf wenige akzeptierte mobile Payment Lösungen wie im Nahverkehr oder bei der deutschen Bahn fehlt es hier in der Tat noch an vorzeigebeispielen. Starbucks in den USA und uk sind ja nette Beispiele, haben aber noch keine echten Nachahmer hier in Ger gefunden. und was natürlich komplett fehlt ist eine Art Standard.