In den letzten Wochen haben wir uns bereits mit den Themen NFC sowie Mobile Payment intensiv beschäftigt. Und auch wenn es in Deutschland oder gar Europa bereits zahlreiche unterschiedliche Systeme und Technologien gibt, hat sich bei uns noch keine Technologie flächendeckend durchgesetzt. Da natürlich auch aus berechtigten Datenschutzgründen, Deutschland wohl nie ein Early Adopter sein wird, stehen wir aktuell als Beobachter nur am Spielfeldrand. Dass die neuen Technologien neben allen Sorgen, Einwänden und Vorbehalten vor allem aber auch eines im Fokus haben, nämlich den Mehrwert für den Kunden, beweist Amazon Go mit seinen Pilotstores in Seattle und Chicago.
Noch gibt es bei uns außer einigen oberflächlichen Info-Videos und ein paar nebulösen Technologie Beschreibungen, relativ wenig konkrete Informationen. Mit Formulierungen wie „Just walk out“ Technologie oder Computer Fusion, Deep Learning Algorithmus und Sensor Fusion, lässt sich Amazon verständlicher Weise wenig in die Karten kucken.
Amazon Go für alle
Seit Januar 2018 ist das Geschäft auf der 7th Avenue in Seattle für die Öffentlichkeit zugänglich. Neben einem überschaubaren Lebensmittelsortiment kann der Kunde Lunch-Kits oder eine limitierte Anzahl an Spirituosen erwerben. Dadurch dass der Markt direkt auf dem Amazon Campus untergebracht ist, dient er wohl neben dem Technologie-Testing auch der Versorgung der eigenen Mitarbeiter. Bekannt ist, dass der Kunde sich ohne wirklich zu zahlen, durch den Shop bewegen und einkaufen kann. Aber wie fühlt sich das an? Wie zuverlässig funktioniert das und ist es wirklich die Zukunft des Einkaufens? Das Team von mobile zeitgeist hat alle drei Shops von Amazon Go in Seattle besucht und die neue „Shopping Experience“ auf Herz und Nieren getestet.
Und so funktioniert’s | mobile zeitgeist in Seattle
Vor den Einkauf hat Amazon den Check-in gesetzt. Um generell bei Amazon Go einkaufen zu können, benötigt der Kunde die entsprechende Amazon Go App. Diese generiert einen individuellen QR-Code, der die Türen zum Supermarkt öffnet. Spannend ist, dass ich als Inhaber einer App auch „Guest-Shopper“ authorisieren kann, deren Einkäufe dann alle dem eigenen Warenkorb zugeordnet werden.
Neben der Darstellung von aktuellen Angeboten, zeigt die App alle Bons und Quittungen vergangener Einkäufe ohne Zeitversatz. Push-Nachrichten über das Ende des Einkaufs (inkl. genauer Zeiterfassung) und der Fertigstellung der Rechnungen, werden zusätzlich auch auf der Apple Watch angezeigt.
Dass die App wirklich erkennt, ob ich ein Produkt bei mir habe, zurückstelle oder mein Shopping-Begleiter das Produkt aus dem Regal genommen hat, ist wirklich faszinierend. Mit welcher Witchy-Vodoo-Technologie das wirklich umgesetzt wird oder ob viele kleine Amazon Go Mitarbeiter mit der Registrierkasse im Hintergrund sitzen und das Ganze via Kamera monitoren, bleibt ungelöst. Natürlich vermuten wir, wie die anderen Auseinandersetzungen mit diesem Thema auch, eine Kombination aus Kameras, Standorterfassung und Sensorik. Auf einer Fläche von etwas mehr als 200 qm sieht die Decke aus, als hätte man sie mit Kameras tapeziert. Geschätzt 400 Geräte sind dort wohl verbaut.
Vorteile
+ Keine Warteschlange an der Kasse
+ Produktgenaue Erfassung
+ Digitale Belege für alle Einkäufe
+ Gebündelter Blick auf das eigene Shopping-Verhalten
Nachteile
+ Nur kleines Produktportfolio für den Convenience-Bedarf
+ Aktuell noch keine Lösung für Produkte, die nicht in festen Größen abgepackt werden (Bsp. Gemüse)
Verkäufer und Verkäuferinnen im Supermarkt der Zukunft?
In Zeiten in denen KI und Machine Learning auf dem Vormarsch sind, machen sich viele Sorgen über die Zukunft der Arbeitsplätze in diesem Kontext. Von daher war es interessant zu sehen, dass der Laden zwar ohne Kassiererinnen und Kassierer auskommt, aber Gott sei Dank nicht ohne Personal. Amazon setzt hier voll auf Zuwendung. Zwei Mitarbeiter waren kontinuierlich damit beschäftigt, die Kunden zu begrüßen und einzuweisen. Weitere 4 Mitarbeiter kümmerten sich um das Auffüllen der Regale und die Fragen der Kunden. Mehr Mitarbeiter findet man auf einer ähnlichen Fläche bei EDEKA aktuell auch nicht.
Sicherheit
Diebstähle gehören mit Amazon Go wohl eher der Vergangenheit an. Ohne Registrierung und Check-in durch die App, kommt keiner in den Laden. Der generierte QR-Code verliert durch einen Screenshot seine Funktionalität und das System wirkt zumindest auf uns von außen betrachtet sehr sicher. Da ab dem Check-in auch jede Aktion getrackt wird, können Lebensmittel nicht einfach entwendet werden. Zumindest steigt die Herausforderung an potenzielle Diebe immens und setzt einiges an technischer Fingerfertigkeit voraus.
Und wann werden wir zu Amazon Go Shoppern?
Das Erlebnis an sich begeistert! Einkaufen wird schneller und angenehmer und gerade in der kurz bemessenen Mittagspause, gewinnen wir an Freizeit. Bis 2021 plant Amazon 3.000 Läden in den USA. Bis es so weit ist, wird die Technologie hoffentlich auch bei uns neue Impulse setzen, die am Ende mobile Payment obsolet machen wird. Dass auch in Deutschland das Interesse groß ist, stellte ein Team von Tchibo unter Beweis, dass zum gleichen Zeitpunkt wie das Team von mobile zeitgeist vor Ort war, um Inspirationen zu sammeln.
Die Zukunft gehört den Kunden
Grundsätzlich sind wenig Dinge im Leben umsonst. Ab einem gewissen Alter weiß man das. Für die meisten Dinge müssen wir bezahlen. Wir zahlen für Produkte, Dienstleistungen aber auch für Bequemlichkeit und Komfort. So ist es vielleicht ein wichtiger Entwicklungsschritt einfach anzuerkennen, dass unsere Daten eine reale Währung sind. So lange wir uns diesem Geschäft mit all seinen Konsequenzen bewusst sind, es freiwillig abschließen und einen wirklichen Mehrwert dadurch erhalten, der dem Wert unserer Daten angemessen ist, wären wir mit den Amazons und Alibabas auf Augenhöhe. Wir hätten eine Wahl und könnten entsprechende Entscheidungen treffen. Solange aber die Nutzung und Verarbeitung unserer Daten im blinden Nexus der Datenkrake verschwinden, bleiben wir die Labor-Kaninchen der Tech-Giganten.
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