Mobile Payment in Deutschland (6): Suchen und Finden von Mehrwerten

value added

Die fehlenden Mehrwerte sind Schuld am mangelnden Erfolg des Mobile Proximity Payment – so lautet eine inzwischen hĂ€ufig anzutreffende BegrĂŒndung fĂŒr die schleppende Akzeptanz von mobilen Zahlungslösungen durch Konsumenten. In den ersten Teilen dieser Serie wurde bereits nĂ€her beleuchtet, wie sich der Markt in den letzten Jahren entwickelt hat, welche Wachstumsprognosen aktuell gehandelt werden und zwei Interviewpartner haben ihre Perspektive auf den Markt geteilt (siehe Links unten). Dann kam Apple Pay und hat alle Aufmerksamkeit fĂŒr sich eingenommen. Jetzt ist es wieder ruhiger und die Serie soll weiter gehen. Der Fokus liegt jetzt auf den Mehrwerten, wo man sie suchen und finden könnte, um Early Adopter zu ĂŒberzeugen. Und wie der eine oder andere Payment Anbieter mit den Mehrwerten umgeht.

Perspektivenwechsel

Zu viele Payment Anbieter haben den Blick zu stark auf die technischen Möglichkeiten, die ProzessablĂ€ufe, die eigenen GeschĂ€ftsinteressen oder „nicht bis zum Ende gedachten Konzepte“ gerichtet. NatĂŒrlich klingt es toll, wenn der Nutzer sein gesamtes Portemonnaie gegen ein digitales Wallet im Handy austauschen kann. Aber bis diese Vision zur Wirklichkeit wird, sind noch viele Zwischenschritte notwendig. Und auf diesem Weg darf der Nutzen und Mehrwert fĂŒr den Konsumenten nicht auf der Strecke bleiben.

Damit ein innovativer mobiler Service nicht bei den Tech-Enthusiasten (Innovators, s. a. Teil 2 dieser Serie) im Test stecken bleibt und danach in den Abgrund stĂŒrzt, muss die Frage nach den Mehrwerten beantwortet sein, mit denen sich die sogenannten „Early Adopters“ ĂŒberzeugen lassen und ein erstes Momentum am Markt schaffen. Geoffrey Morre spricht in Crossing the Chasm dann von „Beachheads“.

Early Adopters stehen nicht an jeder Straßenecke

Wie aber lassen sich Early Adopters aufspĂŒren und ĂŒberzeugen? Die stehen nicht an jeder Straßenecke und sind nicht einfach zu ĂŒberzeugen. Es sind in der Regel anspruchsvolle Nutzer, die den Mehrwert einer neuen App oder eines Services kritisch beĂ€ugen. Sie schlagen schnell zu und gehen neue Wege, wenn ihnen damit eine schnellere, einfachere oder bessere Lösung ihrer Alltagsaufgaben möglich ist.

Es wĂ€re auch falsch zu denken, dass unter den zwischenzeitlich 55% Smartphone-Besitzern in Deutschland, bzw. 35% Nutzern des mobilen Internets, genĂŒgend Early Adopters sind, die einen neuen mobilen Service sofort adoptieren, sobald er verfĂŒgbar ist. Es gehört ein wenig mehr dazu. Ein Ansatz beschĂ€ftigt sich damit, ein neuartiges Kundenerlebnis zu schaffen, welches eine deutliche Verbesserung eines bisherigen Ablaufs ggĂŒ. dem bisherigen Verfahren schafft.

Besonders wichtig sind dabei zwei Punkte:

  1. Aus der Brille des Nutzers zu schauen (Customer Centric)
  2. Den Ablauf end-to-end zu betrachten und zu optimieren (Integrated Customer Experience)

Beispiel: Customer Experience Centric Innovation

Der Ausgangspunkt ist der Kunde: ein Unternehmen hat bestimmte Zielgruppen, unter diesen sind zuerst die mobil-digitalen Konsumenten herauszuheben. Dann stellt sich die Frage, welche typischen Kontaktpunkte es mit diesen Kunden gibt. Und noch viel wichtiger: wie gestalten diese Kunden ihr Leben rund um diese Kontaktpunkte. Wo liegen die Herausforderungen dieser Menschen im Alltag? Wo liegen ihre Ziele, ihre Erfolgshebel, ihre GlĂŒcksmomente? Wie funktionieren diese AblĂ€ufe heutzutage und gibt es dort Verbesserungsmöglichkeiten? Wie lassen sich diese Verbesserungsmöglichkeiten mit den Kontaktpunkten zum eigenen Unternehmen verbinden? D. h. wie lĂ€sst sich ein neues, ĂŒberzeugendes Kundenerlebnis kreieren. Grob und vereinfacht gesagt wird hier eine Methode namens „Customer Immersion“ beschrieben. Durch das Eintauchen in die Alltagswelt der Zielkunden, lassen sich „Probleme“ aufdecken, aus denen sich im nĂ€chsten Schritt Mehrwerte sowohl fĂŒr den Nutzer wie auch fĂŒr das Unternehmen entwickeln lassen.

Wie könnte dies konkret aussehen? Ich will zur Illustration ein Beispiel von einer kĂŒrzlichen Erfahrung schildern: Auf der Suche nach einem Mittagessen in einer europĂ€ischen Großstadt lande ich in einer Art CafĂ© mit Mittagstisch. Das Stadtviertel ist durchaus modern, eine Mischung aller Altersklassen, viele davon modisch gekleidet und mit Smartphones unterwegs. Es ist Donnerstag, 13 Uhr, ich setzte mich an einen Tisch. Neben mir ein Mann um die 30 Jahre, der sich beim Essen fortwĂ€hrend mit seinem Smartphone beschĂ€ftigt. Auf er anderen Seite eine Gruppe von 6 jungen Leuten in einer angeregten Tischunterhaltung, aber mindestens 2 davon haben stets das Smartphone vor der Nase. Weiter hinten, 2 Damen um die 60, beide haben ihr Smartphone auf dem Tisch liegen, es könnte ja ein Anruf kommen. Daneben zwei Frauen um die 40, beide mit Smartphone, die eine schaut hin und wieder irgendetwas auf ihrem Screen nach. Und noch ein paar mehr Leute, aber ich glaube es ist klar, wie die Kundschaft ungefĂ€hr aussieht.

Es gibt WIFI im CafĂ©. Es gibt ein TagesmenĂŒ mit frischen Produkten, alle aus der Region, selbst die Cola ist ein lokales Label. Ich suche mir mein Mittagessen von der Kreidetafel aus und bin bereit fĂŒr die Bestellung. Ich warte ungefĂ€hr 5 Minuten, dann kommt jemand und nimmt die Bestellung auf. Das Essen kommt nach akzeptabler Wartezeit. Als ich nach der Rechnung verlangen will, ist plötzlich mehr los. Ich warte gefĂŒhlte 7-8 Minuten, bis jemand meinen Wunsch entgegen nimmt. Dann warte ich auf die Rechnung, die nach manueller Eingabe der Items aus einer alten Kasse kommt. Und bis zur Zahlung muss ich dann ungelogen noch 13 Minuten warten (da war ich dann soweit und habe die Zeit gestoppt). Ich habe mich geĂ€rgert. Alles war gut, bis der Schluss kam. Das Personal war ĂŒberlastet in der Stoßzeit. Kann man hier nicht etwas besser machen? Kann man das Personal nicht von gewissen Aufgaben entlasten, damit sie sich auf den höchstmöglichen Durchsatz konzentrieren können? HĂ€tte man mir den Frust am Ende und den Verlust von 15-20 Minuten meiner Arbeitszeit nicht ersparen können?

Immersion: Diving into it via Shutterstock

Diese Fallbeschreibung bringt keine wirklich neue Idee. Andere haben diesen Fall durchlaufen, erste Lösungen dafĂŒr stehen bereit, um Kunden eine Vorbestellung in CafĂ©, Kneipe oder Restaurant per Smartphone zu ermöglichen, ihnen dort auch die Rechnung zur VerfĂŒgung zu stellen und eine Zahlungsmöglichkeit im DIY-Modus anzubieten. Ich möchte mit diesem schlichten, einfachen Fallbeispiel verdeutlichen, wie aus dem Eintauchen in einen end-to-end Ablauf im Alltag eines Konsumenten, sinnvolle Lösungen – die als integralen Bestandteil auch Payment abbilden – entdeckt werden können. Customer Immersion – ob nun durch das tatsĂ€chliche Erleben einer Kundenhandlung oder durch das virtuelle Eintauchen in typische Kundenpfade – bewegt die Perspektive auf einen anderen Standpunkt und produziert entscheidende Impulse fĂŒr die Gestaltung eines Kundenerlebnisses inkl. der zugehören Lösungen.

Features von Produkten und Dienstleistungen sind kein Wettbewerbsvorteil mehr

Schaut man auf viele Publikationen zum Mobile Payment, werden Mehrwerte oft aus der Perspektive des Payment beschrieben und listen Features auf. Auch wenn diese sich auf den ersten Blick wie Kunden-Mehrwerte anhören, wenn man es konkret in die RealitĂ€t des Alltags hinein projiziert, wird die Begeisterung oft gedĂ€mpft. Aus der Perspektive des Konsumenten geht es in erster Linie um die Einkauferfahrung, um den Erwerb eines Gutes, um die Erledigung einer Notwendigkeit – nicht um das Bezahlen. Warum sollte er isoliert sein Zahlungsverhalten Ă€ndern, wenn der Rest drum herum gleich bleibt?

Der ganzheitliche Ablauf muss betrachtet werden – inklusive dem vorher und dem nachher. Payment ist dann integraler Bestandteil einer neuen Customer Experience, womit ein Anbieter sich von der Konkurrenz abheben kann. So sagt z. B. Gartner, dass bis 2017 50% der Investitionen in B2C-Produkte umgeleitet werden hin zu Innovationen in der Customer Experience. Im Hyperwettbewerb sticht nicht mehr hervor, wer die meisten Features hat, denn Produkte oder Dienstleistungen werden immer vergleichbarer unter Wettbewerbern. Das Kundenerlebnis wird zur geheimen Waffe fĂŒr nachhaltige Kundentreue. „Customer Experience ist the new competitive battlefield. The reality is that focusing innovation on new products — and even new business models — is subject to shrinking periods of competitive advantage. Competitors and alternatives abound and product innovation is subject to accelerating commoditization. Customer experience innovation remains the secret to lasting brand loyalty.“ (Gartner). Dies gilt auch fĂŒr Payments.

 

Alle bisher in den Mobile Payment Serien erschienen Artikel können hier aufgerufen werden:

Mobile Payment 2014 Serie: Übersicht aller Artikel

Mobile Payment SWOT 2013 (Serie)

Mobile Payment Update 2012 (Serie)

Über Maike Strudthoff 95 Artikel
Maike Strudthoff unterstĂŒtzt Unternehmen Innovation neu zu denken, schneller zu agieren und sich konsequent auf den Nutzer-Kunden auszurichten. Ihr Schwerpunkt liegt auf digitalen Services sowie Commerce & Payment 4.0. Sie unterstĂŒtzt seit ĂŒber 8 Jahren Unternehmen in Europa, die Zukunft der Digitalisierung zu antizipieren und fĂŒr sich zu gestalten – nahe am Kunden und mit schlanken Methoden (Design Thinking, Co-Creation, Lean Principles, 
). Als GrĂŒnderin des JumpNext Netzwerks verbindet Maike Strudthoff Menschen mit unterschiedlichsten Perspektiven, um Inspiration fĂŒr Neues entstehen zu lassen. Sie beobachtet und analysiert Innovationen und disruptive Unternehmen rund um die Welt. Sie trĂ€gt die Erkenntnisse in Workshops und Keynote VortrĂ€gen weiter. RegelmĂ€ĂŸig veröffentlicht sie BeitrĂ€ge ĂŒber Mobile Payment in Online und Offline Medien sowie BuchbeitrĂ€gen. Digitale Innovation ist nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihre persönliche Leidenschaft. Zuvor hat Maike Strudthoff 12 Jahre fĂŒr eine fĂŒhrende Unternehmensberatung, in einer internationalen Bankgruppe sowie in einem Startup in London gearbeitet. Mehr ĂŒber Maike auf XING, ihrer Website oder per Mail

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Ich bestĂ€tige, dass die hier von mir eingegebenen persönlichen Daten in der von mobile zeitgeist genutzten Datenbank bis auf Widerruf gespeichert werden dĂŒrfen.