Vom Foto Album zum Algorithmus

selfie

Im März 2016 gab Google bekannt, dass seine Bildbearbeitungssoftware Nik Collection ab sofort kostenfrei verfügbar sei. Eine Reaktion auf rückläufige Verkaufszahlen oder eine voraus schauende Maßnahme, um das Foto Album zu ersetzen?

Unser Fotografierverhalten hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Von analogen Kameras über die digitalen bis zum allgegenwärtigen Smartphone war es im Grunde nur ein kurzer Weg, doch heute ist die Rolle eines Fotos eine ganz andere als damals.

Erinnerungsstück wird Teil der Sprache

Früher machten wir Aufnahmen, um sie uns später noch einmal ansehen zu können. In unseren Schränken stapeln sich teilweise schon leicht vergilbte Abzüge, manche haben die Bilder ordentlich in Alben geklebt. Wenn wir nach unserem Urlaub nicht mit einem Stapel Fotos in der Hand auf andere los stürzten, um endlich andere an unserem Urlaub teilhaben zu lassen, so wurden reihenweise Einladungen zum Dia-Abend ausgesprochen, bei dem dann in aller Ruhe die Erinnerungen mit Familie, Freunden oder Nachbarn geteilt wurden.

Heute ist ein Foto flüchtig, schnell gemacht und immer seltener steht die Konservierung der Erinnerung als Motivation im Vordergrund. Fotos werden zu einem Bestandteil unserer täglichen Kommunikation. Sie illustrieren Text, stehen aber auch als Botschaft ganz allein für sich. Mit Instagram, Facebook, Twitter oder auch WhatsApp können wir Bilder sofort teilen und so werden sie zu etwas anderem und erweitern unsere Kommunikation, unsere „Sprache“.

Letztlich sind sie Lesezeichen in unserem Leben geworden. Anker oder auch Links, die für Dinge stehen, die wir anderen mitgeteilt haben, Auftakt oder auch Ergänzung einer Unterhaltung. Natürlich dienen sie uns auch heute noch als Erinnerung, doch diese Funktion tritt weiter in den Hintergrund.

Google, übernehmen Sie!

Die Menschen besitzen rund zwei Milliarden Smartphones, Deutschland sind es ca. 45 Millionen, 98 Prozent nutzen es, um Fotos zu machen. 2015 wurden 900.000.000.000 (900 Milliarden) Fotos ins Netz hoch geladen und auf den Smartphones schlummern weitere hunderte Milliarden. 65 Prozent der Deutschen speichern ihr Fotos online.

Schon längst können wir unsere Bilder nicht mehr ordentlich sortieren und wir schaffen es meist nicht, Bilder wieder zu finden. Die schiere Menge und die unterschiedlichen Plattformen lassen uns die meisten Bilder sehr schnell wieder vergessen. Es sei denn – und hier kommt wieder Google ins Spiel – wir delegieren das Management unserer Bilder an eine Maschine. Und die funktioniert heute schon ganz ordentlich und übernimmt die Nachbearbeitung, stellt uns Sammlungen auf Basis von Ähnlichkeiten zusammen, fertigt uns gleich noch GIFs mit an und findet Personen auf den Bildern. Wir werfen alles nur noch auf einen Haufen, der Algorithmus macht den Rest. Und dies kann ein Algorithmus umso genauer, je besser er uns kennt. Und Google kennt seine Nutzer schon sehr gut, kann daher schon recht annehmbare Dienste anbieten und wird in Zukunft noch besser werden.

Diese Entwicklung führt dazu, dass wir Foto-Laien unsere Bilder bald nicht mehr selbst bearbeiten, sortieren, verschlagworten und archivieren werden. Das übernimmt Google für uns und hier liegt auch der Grund dafür, dass Google die Nik Collection frei gegeben hat. Google selbst dazu:

„As we continue to focus our long-term investments in building incredible photo editing tools for mobile, including Google Photos and Snapseed, we’ve decided to make the Nik Collection desktop suite available for free, so that now anyone can use it.“

Manuell Foto bearbeiten: Nische

Google konzentriert sich nicht mehr auf Desktop-basierte Werkzeuge für die Fotobearbeitung oder -archivierung sondern auf mobile. Wozu ein Tool, wenn Google es eh gleich für uns erledigen kann, uns damit noch enger an sich bindet? Diesen Weg beschreitet jedoch nicht Google allein. Facebook/Instagram und auch Video-Formate wie Snapchat oder musical.ly werden uns sehr eng begleiten, wenn es um unsere Bilder und Videos geht.

Das manuelle Bearbeiten von Bildern wird in der Nische weiterhin existieren. (Hobby-) Fotografen werden immer selbst Hand an legen, denn ihr spezifisches Fachwissen werden ihre Auftraggeber weiterhin nachfragen. Aber auch hier ist zu befürchten, dass zukünftig nicht mehr so viele Fotografen benötigt werden.

Ich habe vor einem Jahr einen Vortrag zum Fotografierverhalten gehalten. Hier sind die Slides dazu:

 

Über Heike Scholz 429 Artikel
Nach über zehn Jahren als Strategieberaterin für internationale Unternehmen gründete die Diplom-Kauffrau 2006 mobile zeitgeist und machte es zum führenden Online-Magazin über das Mobile Business im deutschsprachigen Raum. Heute ist sie ein anerkannter und geschätzter Speaker und gehört zu den Köpfen der deutschen Internet-Szene. Weiterhin ist sie Beiratsmitglied für die Studiengänge Angewandte Informatik und Mobile Computing an der Hoschschule Worms. Als Co-Founder von ZUKUNFT DES EINKAUFENS, begleitet sie die Digitale Transformation im stationären Einzelhandel. Sie berät und trainiert Unternehmen, die sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und fördert mit ihrem Engagement die Entwicklung verschiedener Branchen und Märkte.

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  1. geekchicks.de » geekchicks am 30.05.2016 - wir aggregieren die weibliche seite der blogosphäre

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