Ich habe mir kürzlich die Sendung „Immer online – machen Smartphones uns dumm und krank?“ bei hartaberfair (ARD, 23.05.2016) angeschaut.
Studiogäste: Prof. Manfred Spitzer („Cyberkrank“), Frank Thelen (VC und aus „Höhle der Löwen“ bekannt), Ranga Yogeshwar (überhaupt aus dem Fernsehen bekannt), Duygu Gezen (Volontärin Social Media der ARD) und Leni Breymaier (ver.di).
Neun Jahre nach Einführung des iPhones finde ich es für Deutschland und das (Erste) Deutsche Fernsehen beschämend, dass wir dieses Thema noch in dieser Form diskutieren. Meine Kritik richtet sich gegen die Form, die von der ARD und der Redaktion von hartaberfair gewählt wurde. Ein ebenso provokanter wie tendenziöser Titel und eine Zusammenstellung von Studio-Gästen, die das Thema garantiert nicht zielführend diskutieren wird, sondern konträr. Gibt sicherlich die bessere Quote.
Fünf Stühle, zwei große Egos
Und so wetterte Spitzer (wieder einmal), diverse Studien zitierend gegen die bösen Geräte, die uns alle zu blöden Monstern werden lassen. Technologie-Pessimismus Galore. Smartphones erst ab 18 und ähnlicher Unfug. Spitzer hat damit sein Publikum gefunden, genug stimmen ihm zu, denn radikale und einfache Lösungsvorschläge für komplexe Fragestellungen sind ja so schön bequem. Sehen wir bei anderen Themen, die Deutschland derzeit bewegen, ebenso.
Die von Spitzer wohl am weitesten entfernte Position nahm Frank Thelen ein. Für ihn sind die negativen Begleiterscheinungen der Smartphone-Nutzung einfach durch Ausschalten lösbar, das Problem bleibt also beim souverän handelnden Individuum, das selbst für sich sorgen soll. In meinen Augen verfügen viele, aus unterschiedlichen Gründen nicht über diese Souveränität, was diesen Lösungsvorschlag ebenso ins Leere laufen lässt, wie Spitzers „Smartphone erst ab 18“.
Thelen wies jedoch sehr richtig darauf hin, dass wir durch (Total-) Verweigerung neuer Technologien uns von den Weltmärkten verabschieden können, was wir ja an vielen Stellen der digitalen Welt bereits tun. Damit brachte er diesen enorm wichtigen, wirtschaftlichen Aspekt in die Diskussion, malte aber mehr Drohszenarien in Form der digitalen Giganten aus den USA (Google, Apple, Amazon) als konkrete Lösungen vorzuschlagen, wie wir dieser Entwicklung denn konkret begegnen könnten.
Ranga Yogeshwar nahm die charmante Mittelposition ein. Warum er in der Sendung war, hat sich mir nicht erschlossen. Zu beliebig waren seine Meinungen zum Thema.
Duygu Gezen wurde für die Runde wohl eingeladen, weil sie sozusagen die Nutzerin, den „Smombie„, verkörpern sollte. Also das degenerierte Wesen, das Smartphone-süchtig ist. Sie hat erfrischend offen über ihre Nutzungsgewohnheiten gesprochen, aber auch einige Klischees bestätigt. So blieb leider der Eindruck haften, dass sie eher eine Suchtkandidatin ist, als eine junge Frau, die sehr bewusst Technologie einsetzt. Damit tue ich ihr sicherlich (und hoffentlich) unrecht.
Last but not least gehört in ein solches Line-up natürlich noch jemand zum Thema Arbeitnehmerschutz, also Gewerkschaft. Frau Breymaier sagte viele, gute Dinge und stellte einige sehr richtige Fragen, wie z.B. wie wir mit den in absehbarer Zeit in großen Zahlen frei gesetzten Menschen, die dann ohne Arbeit sein werden, umgehen wollen.
Doch die Runde wollte sich nicht mit einer so wichtigen Frage beschäftigen (wohl kaum etwas für die persönliche Profilierung) und ließ damit Breymaier auflaufen. Die in meinen Augen antiquierte, (Klassen-) kämpferische Haltung von Breymaier führte dazu, dass sie weitgehend unterging, obwohl sie durchaus wichtige Dinge ansprach.
Konnte man nun irgendetwas aus der Sendung mit nehmen? Ja, natürlich. Ein Talk-Format funktioniert am Besten, wenn man zwei Alpha-Männchen aufeinander los lässt und noch ein wenig drum herum stattfinden lässt, während eigentlich die beiden Herren die Sendung bestreiten.
Ach so, inhaltlich? Nö. Nichts Neues, alles an der Oberfläche, wichtige Fragen wurden nicht diskutiert, aber wir wissen nun, dass Ranga Yogeshwar im Urlaub seine Mails nicht liest. Na Glückwunsch!
Nachgedacht
Man mag mir vorwerfen, dass ich zu viel von einem Format wie hartaberfair erwarte. Das mag sein. Eine – wie auch immer bestückte – Talkshow ist sicherlich nicht das optimale Format, komplexe Themen zielführend zu behandeln.
Dennoch hätte ich vom Öffentlich Rechtlichen Rundfunk mehr erwartet, insbesondere bei der Auswahl der Gäste. Immerhin geht die Redaktion von hartaberfair im nachgelagerten Faktencheck auf den eigenen Webseiten noch einmal auf einige, der von den männlichen Studiogästen genannten, Argumente ein und lässt weitere ExpertInnen dazu zu Wort kommen. Das liest sich dann schon sehr viel unaufgeregter, erreicht aber nur sehr viel weniger Menschen als die Fernsehsendung.
Digitale Technologien beeinflussen immer mehr alle Lebensbereiche und es entsteht bei mir seit einigen Monaten der Eindruck von zunehmender Technik-Feindlichkeit in Deutschland. Die Veränderungen, die durch die Digitalisierung hervor gerufen werden, scheinen immer mehr Menschen zu verunsichern und sie reagieren mit Ablehnung. Doch wir müssen uns, um von den weltweiten Entwicklungen nicht abgeschnitten zu werden, auf diese Dinge einlassen.
Das heißt nicht, alles kritiklos hinzunehmen, aber wir sollten uns darum bemühen, die Chancen zu sehen, die Risiken zu erkennen und eine ausgewogene Haltung einzunehmen. Das ist anstrengend, weil die Thematik komplex ist und es gilt, viele verschiedene Standpunkte abzuwägen. Hierbei sollten die Öffentlich-Rechtlichen Informationen anbieten und tunlichst vermeiden, zu einfachen Antworten zu folgen und der Versuchung zu erliegen, für die Einschaltquote auf polarisierende Meinungen zu setzen.
Unrealistisch in unserer Medienlandschaft? Vielleicht. Aber aufgeben zählt auch nicht und so werde ich solche Sendungen weiterhin kritisieren.
Update 10.06.2016: Wie der Zufall manchmal so spielt. Just dieser Tage startete Walulis seine Reihe zu Medientypen mit der Folge „Die Politiktalk-Redaktion“ und das passt zu meinen Beobachtungen wie die berühmte Faust auf’s Auge.
https://youtu.be/29JqSqgxS_w
Wie seht Ihr das? Machen Smartphones uns wirklich dumm und brauchen wir solche Diskussionsrunden, um das Thema in eine breite Öffentlichkeit zu bringen? Machen die Redaktionen in den Sendern einen guten Job? Teilt Eure Meinung mit den LeserInnen von mobile zeitgeist.
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