Experimenteller Meilenstein: Lichtbasierter Computerchip funktioniert ähnlich wie das Gehirn
Einem internationalen Forscherteam der Universitäten Münster, Oxford und Exeter ist die Entwicklung einer Hardware gelungen, die den Weg in Richtung hirnähnliche Computer ebnen könnte: Die Nanowissenschaftler haben einen Chip hergestellt, auf dem sich ein Netz aus künstlichen Neuronen und Synapsen erstreckt, das in der Lage ist, Informationen zu „lernen“ und auf Basis dessen zu rechnen. Da das System ausschließlich mit Licht und nicht mit Elektronen funktioniert, kann es um ein Vielfaches schneller Daten verarbeiten als traditionelle Verfahren. Der Ansatz könnte später in vielen Bereichen Anwendung finden, um Muster in großen Datenmengen auszuwerten. Die Studie ist in „Nature“ erschienen.
Eine Technologie, die wie ein Gehirn funktioniert? In Zeiten von Künstlicher Intelligenz scheint das gar nicht so weit entfernt – zum Beispiel, wenn ein Handy Gesichter oder Sprachen erkennt. Bei komplexeren Anwendungen stoßen Computer jedoch nach wie vor schnell an ihre Grenzen, was unter anderem daran liegt, dass ihre Recheneinheiten und Datenspeicher traditionell voneinander getrennt sind. Folge: Alle Daten müssen hin- und hergeschickt werden. In diesem Punkt ist das Gehirn selbst den modernsten Computern viele Schritte voraus, denn es verarbeitet und speichert Informationen an derselben Stelle: an den Synapsen, Verbindungen von Nervenzellen, von denen es im Gehirn etwa 100 Billionen gibt. Einem internationalen Forscherteam der Universitäten Münster, Oxford und Exeter ist nun die Entwicklung einer Hardware gelungen, die den Weg in Richtung hirnähnliche Computer ebnen könnte: Die Nanowissenschaftler stellten einen Chip her, auf dem sich ein Netz aus künstlichen Neuronen erstreckt, das mit Licht arbeitet und das Verhalten von Nervenzellen im Gehirn nachahmen kann.
Die Forscher konnten zeigen, dass ein solches optisches neurosynaptisches Netz in der Lage ist, Informationen zu „lernen“ und auf Basis dessen zu rechnen und Muster zu erkennen – so wie es ein Gehirn kann. Da das System ausschließlich mit Licht und nicht wie traditionell mit Elektronen funktioniert, kann es um ein Vielfaches schneller Daten verarbeiten. „Dieses integrierte photonische System ist ein experimenteller Meilenstein. Der Ansatz könnte später in vielen Bereichen Anwendung finden, um Muster in großen Datenmengen auszuwerten, zum Beispiel in der medizinischen Diagnostik”, sagt Studienleiter Prof. Dr. Wolfram Pernice, Physiker an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Die Studie ist aktuell in der Fachzeitschrift „Nature“ erschienen.
Die Geschichte im Detail – Hintergrund und Methode
Die meisten bestehenden Ansätze für sogenannte neuromorphe Netzwerke beruhen derzeit auf Elektronen, wohingegen optische Systeme, bei denen Photonen, also Lichtteilchen, zum Einsatz kommen, noch in den Kinderschuhen stecken. Das Prinzip, das die deutschen und britischen Wissenschaftler nun vorstellen, funktioniert so: Auf den Mikrochips sind Lichtwellenleiter platziert, die Licht übertragen können. Die Lichtwellenleiter bestücken die Forscher mit sogenannten Phasenwechselmaterialien (engl. phase-change materials). Solche Materialien finden heute schon bei Speichermedien wie wiederbeschreibbaren DVDs Anwendung. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Eigenschaften drastisch verändern – je nachdem, in welchem Phasenzustand sie sich befinden. So wechseln die Materialien zwischen einem kristallinen Zustand, in dem sich ihre Atome auf regelmäßige Weise anordnen, und einem amorphen Zustand, in dem sich ihre Atome auf unregelmäßige Weise organisieren. Die Phasenveränderung kann durch Licht ausgelöst werden, indem ein Laserstrahl das Material erhitzt. „Dadurch, dass das Material so stark reagiert und seine Eigenschaften drastisch verändert, eignet es sich gut, um Synapsen und die Erregungsübertragung zwischen zwei Neuronen nachzuahmen“, sagt Erstautor Johannes Feldmann, der im Rahmen seiner Doktorarbeit an der WWU einen großen Teil der Experimente durchführte.
In ihrer aktuellen Studie gelang es den Forschern zum ersten Mal, viele nanostrukturierte Phasenwechselmaterialien zu einem neurosynaptischen Netzwerk zusammenzuschließen. Die Nanowissenschaftler entwickelten einen Chip mit vier künstlichen Neuronen und insgesamt 60 Synapsen. Die in verschiedenen Schichten aufgebaute Struktur des Chips basierte auf der sogenannten Wellenlängenmultiplex-Technik – ein Verfahren, bei dem Licht auf unterschiedlichen Kanälen innerhalb eines optischen Nanoschaltkreises übertragen wird.
Um zu testen, inwiefern das System in der Lage ist, Muster zu erkennen, „fütterten“ es die Forscher mit Informationen in Form von Lichtpulsen und wandten zwei verschiedene Algorithmen des Maschinellen Lernens an. Hierbei „lernt“ ein künstliches System aus Beispielen und kann diese am Ende verallgemeinern. Bei den beiden eingesetzten Algorithmen – sowohl beim sogenannten überwachten als auch beim unüberwachten Lernen – war das künstliche Netzwerk am Ende in der Lage, anhand von vorgegebenen Lichtmustern ein jeweils gesuchtes Muster zu erkennen, unter anderem vier aufeinanderfolgende Buchstaben.
„Mit unserem System haben wir einen wichtigen Schritt in die Richtung einer Computer-Hardware gemacht, die sich ähnlich wie Neuronen und Synapsen im Gehirn verhält und die dazu in der Lage ist, reale Aufgaben zu bearbeiten“, sagt Wolfram Pernice. „Indem wir mit Photonen anstelle von Elektronen arbeiten, können wir das bekannte Potenzial von optischen Technologien optimal ausschöpfen – nicht nur wie bisher, um Daten zu übertragen, sondern auch, um sie an einem Ort speichern und verarbeiten zu können“, betont auch Co-Autor Prof. Dr. Harish Bhaskaran von der Oxford University.
Prinzipiell könnten mit einer solchen Hardware zum Beispiel Krebszellen automatisch identifiziert werden. Bis es zu solchen Anwendungen kommen kann, sind jedoch weitere Schritte nötig. So müssen die Forscher die Anzahl der künstlichen Neuronen und Synapsen erhöhen und die Tiefe der neuronalen Netzwerke vergrößern. Das kann zum Bespiel mit optischen Chips erfolgen, die in der Siliziumtechnologie hergestellt werden. „Dieser Schritt soll im EU-Verbundprojekt ,Fun-COMP‘ erfolgen“, sagt Prof. Dr. C. David Wright von der Exeter University, Co-Autor und Leiter des Fun-COMP-Projekts.
Förderung: Die Studie erhielt finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den britischen Engineering and Physical Sciences Research Council und die Europäische Kommission.
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