[Interview] „Nur Punkte sammeln reicht leider nicht!“

Es gibt so viel mehr Möglichkeiten, Kunden an sich zu binden

Punkte sammeln

In Handel und Industrie wird schon lang über Loyalty aka Kundenbindung gesprochen und es gibt heute viele verschiedene Systeme und Anbieter. Ist das Thema deswegen nicht mehr spannend? Wird alles schon gut und ausreichend gemacht?

Wir haben mit Jens Stauch, einem ausgewiesenen Experten für Kundenbindungsprogramme und Leiter des Workshops „Loyalty für Handel und Industrie bei ZUKUNFT DES EINKAUFENS, gesprochen. Jens konzipiert seit 14 Jahren die verschiedensten Kundenbindungsprogramme. Viele Jahre führte er das von ihm gegründete CH Couponing House GmbH, welches für hunderte Kunden europaweite Kampagnen entwarf und durchführte. Neben Beteiligungen an mehreren Start-ups ist Jens heute als Berater und Speaker für Handel, Hersteller und Agenturen unterwegs. Schwerpunkt der Beratung sind die Konzeption von Loyaltyprogrammen und Promotionmaßnahmen.

Der Workshop findet übrigens am 22. Juni 2017 in Düsseldorf statt. Mehr dazu hier.

Kundenbindungsprogramme sind im Handel ja ein alter Hut, möchte man meinen. Warum hältst Du es dennoch für ein aktuelles Thema?

Ich halte das Thema für aktueller denn je. Mit der immer weiter voranschreitenden Einführung von same-day-delivery wird es für den stationären Handel immer schwerer, sich vom Onlinehandel zu differenzieren. Im Gegenteil: Der Onlinehandel kennt seine Kunden gut und weiß um ihre Vorlieben und Kaufgewohnheiten (siehe Amazon).

Mit welchen Vorteilen will der stationäre Handel hier künftig noch punkten? Hier gilt es, den Kunden mit Hilfe von technischen Möglichkeiten besser kennen zu , mit ihm in den Dialog zu treten und somit an sein Geschäft zu binden. Es geht darum, Relevanz im für den Kunden neu zu erfinden. Um dies zu schaffen sind Kundenbindungsprogramme das perfekte Tool.

Die großen Händler haben meist bereits ein eigenes (digitales) Loyalty-Programm oder nutzen Multi-Partner-Programme. Bei kleinen und mittelständischen Einzelhändlern trifft man meist auf 10er-Stempelkarten. Trügt dieser Eindruck? Sind die KMU schon weiter?

Leider nein. Bei kleinen und mittleren Einzelhändlern fehlt es oftmals schlicht an Know-How und personellen Kapazitäten, um sich dieser Themen anzunehmen. Oftmals sind es auch einfach die Angst vor dem Unbekannten und das Unwissen der technischen Möglichkeiten.

Um überhaupt etwas zu machen, weichen viele Einzelhändler dann auf simple Bonuskarten oder die Teilnahme an regionalen City-Card Programmen aus. Letzteres kann durchaus sinnvoll sein, da man sich Marketing Know-How und eine größere Kommunikationspower ins Boot holt. Leider gibt es aber nur wenige City-Card Programme die erfolgreich sind.

Nur Punkte sammeln reicht leider nicht, es müssen heutzutage Mehrwerte für den Kunden geboten werden. Und auf gemeinsame Aktivitäten und Budgets kann sich häufig bei solchen Interessengemeinschaften nicht geeinigt werden, weshalb die City-Cards dann oftmals nur plastik-gewordene Stempelkarten sind und bei den Kunden auf wenig Gegenliebe stoßen.

Sind Loyalty-Programme immer Rabatte oder Punktesammeln? Ist das das Einzige, was bei uns Konsumenten zieht oder liegt es an einer gewissen Einfallslosigkeit im Handel?

Tatsächlich sehen wir hier eine ziemliche Einfallslosigkeit. Natürlich wird es immer die attraktive Prämie geben, die jeder haben möchte, doch es gibt auch noch viele andere Möglichkeiten, um sich von der Konkurrenz zu unterscheiden. Es muss ja nicht immer der Rabatt sein, um den Kunden zu binden.

Der Kunde kann auch belohnt werden, wenn er z.B. aktiv die des Händlers oder Herstellers weiterempfiehlt, also auch nicht-Kauf-abhängige Belohnungen erhält. Wer sein Heil nur im Preiskampf sieht – und was Anderes ist der Rabatt in Form von Punkten nicht – wird über kurz oder lang von Größeren und effizienteren Konkurrenten bedrängt.

Auch lange Sammelphasen sind für den Kunden nicht immer interessant, somit sollten bereits in der frühen Einstiegsphase bei Programmstart Delight&Surprise-Momente gebildet werden.

Gerade im Bereich der Serviceleistungen sehe ich hier unheimliches Potential und Vorteile, gerade gegenüber der Onlinekonkurrenz. Sogenannte Benefits können hierbei Unterstützung liefern. Seien es für Kunden reservierte Parkplätze in der , der Heimbringservice der gekauften oder das Gläschen Sekt bei der Anprobe oder Early Bird Specials. Es gibt vielerlei Möglichkeiten seine Kunden auch kostengünstig zu begeistern.

Warum ist das Thema Kundenbindung auch für Hersteller interessant?

Es wäre fahrlässig, das Wissen über Kundenvorlieben und die Einkaufsdaten dem Handel zu überlassen. Wenn der Handel nahezu alles über das Einkaufsverhalten und die Vorlieben seiner Kunden weiß, warum sollte er dann nicht seine Handelsmarken den Kunden präferiert anbieten? Sollte es ein Händler schaffen, seine Handelsmarken auch auf Markenartiklerniveau zu vermarkten, welche Relevanz haben dann viele Herstellermarken noch?

Warum gibt es beispielsweise erfolgreich laufende Produkte vom Amazonmarktplatz auf einmal als Amazon Eigenmarke? Weil Amazon weiß, welche Produkte gefragt sind, was die Kunden bereit sind für das Produkt auszugeben und natürlich auch weiß, wo er das Produkt produzieren lassen kann.

Aus diesem Grund sollten Hersteller versuchen, die Kunden zu binden, kennen zu lernen und damit eine Differenzierung zu den Handelsmarken aufzubauen. Auch hier wäre eine verbesserte Kooperation zwischen Handel und Hersteller sicherlich eine Win-Win Situation, um am Ende glückliche Kunden zu haben und Produktloyalität zu erhalten.

Angesichts von Smart Shoppern, die über alle verfügbaren Kanäle zum Handel kommen, müssen sich auch Loyalty-Programme anpassen. Wo liegen die größten Herausforderungen in einer vernetzten Welt?

Dem Kunden muss ein Mehrwert geboten werden, um in den stationären Handel zu kommen, der über den günstigsten Preis hinausgeht. Denn sich nur über den Preis zu definieren ist ein Kampf, den der stationäre Handel aufgrund seine Kostenstrukturen kaum gewinnen kann.

Loyaltyprogramme müssen deshalb relevant sein, um eine wirkliche Lenkungsfunktion zu haben. Wenn Kunden die Punkte nur als Mitnahmeeffekt sehen, da sie je nach Geschäft einfach eine ihrer 10 Bonuskarten ziehen, dann bringen diese Bonusproramme nichts an Mehrwert, sondern kosten den Handel nur Geld.

Mit der immer weiter fortschreitenden der mobilen Bonuskarten wird dieser Effekt immer weiter verschärft. Denn der Platz im Portemonnaie ist begrenzt, aber im Smartphone ist nahezu unendlich Platz.

Gleichzeitig werden intern viele Insellösungen geschaffen, die untereinander nicht vernetzt sind. Meist gibt es gute digitale Lösungsansätze im Unternehmen, aber sie erhalten oftmals keine Zustimmung bei den Entscheidungsträgern und zum Schluss wird sich wieder für die konventionellen Maßnahmen entschieden.

Gleiches gilt auch in der Vernetzung mit Business Partnern. Keiner will den anderen bevorteilen oder ihm zu viel preisgeben. Die größte Herausforderung liegt aus meiner Sicht, endlich alles aus der Kundensicht zu betrachten und daraufhin die wirklichen Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Also das Design Thinking Modell nicht nur zu kennen, sondern auch anzuwenden und daraufhin die Prozesse abzustimmen und nicht vice versa.

Welche großen Trends siehst Du in den nächsten zwei Jahren?

Im Grunde wartet jeder schon seit einiger Zeit auf den des Mobile Payment und damit einhergehend auf die neue Qualität von Daten, die gesammelt werden können. Mit diesem Schritt würde der stationäre Handel einen großen Schritt vorwärts machen, um die Vorteile des Onlinehandels in Bezug auf Kundendaten zu verringern. Aktuell ist aber noch kein sich durchsetzender Player in Sicht und solange es kein relevantes, deutschlandweites System gibt, wird sich die Technologie auch nicht bei den Konsumenten durchsetzen.

Ebenso sehe ich große Fortschritte bei der Entwicklung von geobasierten Diensten. Hier entstehen spannende Möglichkeiten, um Kunden relevante Kommunikation am POS zu bieten.

Auch die aufkommenden Blockchain Modelle könnten die Zukunft bestimmen.

Und dann nicht zu vergessen, wie das Thema Datenschutz für den Kunden optimiert werden kann. Hier gilt es, die Transparenz dem Kunden zu geben, anstatt durch die Hintertür den Verbraucher auszusperren.

Danke, Jens.

Infos zu unserem Workshop „Loyalty für Handel und Industrie“, den Jens Stauch für ZUKUNFT DES EINKAUFENS durchführt, auf unseren Webseiten. Termin: 22. Juni 2017 in Düsseldorf. 

Dieses Interview erschien zuerst auf ZUKUNFT DES EINKAUFENS.

Über Heike Scholz 429 Artikel
Nach über zehn Jahren als Strategieberaterin für internationale Unternehmen gründete die Diplom-Kauffrau 2006 mobile zeitgeist und machte es zum führenden Online-Magazin über das Mobile Business im deutschsprachigen Raum. Heute ist sie ein anerkannter und geschätzter Speaker und gehört zu den Köpfen der deutschen Internet-Szene. Weiterhin ist sie Beiratsmitglied für die Studiengänge Angewandte Informatik und Mobile Computing an der Hoschschule Worms. Als Co-Founder von ZUKUNFT DES EINKAUFENS, begleitet sie die Digitale Transformation im stationären Einzelhandel. Sie berät und trainiert Unternehmen, die sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und fördert mit ihrem Engagement die Entwicklung verschiedener Branchen und Märkte.

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  1. geekchicks.de » geekchicks am 22.05.2017 - wir aggregieren die weibliche seite der blogosphäre

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