Schon seit einigen Jahren tüfteln Ingenieure, Start-ups und etablierte Unternehmen an der möglichst genauen Lokalisierung und Navigation in geschlossenen Räumen. Anfang 2012 titelten wir noch „Indoor Navigation zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ und kamen damals zu dem Schluss, dass es wohl noch etwas Zeit brauchen würde, bis ausreichend stabile und genaue Lösungen am Markt sein würden.
Seitdem hat sich eine Menge getan und wir nehmen dies zum Anlass mit jemandem zu sprechen, der sich damit auskennt. Richard Lemke ist Gründer und Geschäftsführer der Favendo GmbH in Bamberg und war so nett, uns ein paar Fragen zum Stand der Dinge zu beantworten. Favendo ist eine Kooperation von vier am Markt etablierten Unternehmen (fewclicks, match2blue, blue cell networks, bluloc) mit über 70 Mitarbeitern an drei Standorten.
Indoor Positionierung und Navigation können mit verschiedenen Technologien realisiert werden. Welche Vor- und Nachteile haben diese aus Deiner Sicht?
Die Umgebungsbedingungen in Indoor-Szenarien sind sehr komplex und vielfältig. Und so sind auch die zahlreichen zum Einsatz kommenden Technologien vielfältig, komplex und mit verschiedenen Vor- und Nachteilen belegt. Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen funkbasierten, optischen und sensorbasierten Technologien zur Positionierung und Navigation in geschlossenen Räumen.
Unter funkbasierte Technologien fallen iBeacon-, WLAN- und RFID-Lösungen. Optische-Lösungen basieren auf dem Abgleich von historischen Kamerabildern oder auf Visible Light Communication mit Hilfe von verbauten LED-Streifen.
Bei sensorbasierten Navigationslösungen wird auf zusätzliche Hardware verzichten und stattdessen das Erdmagnetfeld und der Kompass oder Gyrosensoren in Smartphones genutzt. Auch Orientierung via Tiefensensorik fällt in diesen Lösungsbereich.
Der größte Vorteil des sensorbasierten Ansatzes ist der bereits genannte komplette Verzicht auf zusätzliche Hardware. Zudem ist insbesondere die Tiefensensorik extrem schnell. Die Vorteile werden mit einer relativ großen Störanfälligkeit bezahlt, da z.B. auch ein Magnetfeld äußeren Einflüssen unterliegt. Der gravierendste Nachteil bei der Tiefensensorik ist aus meiner Sicht allerdings, dass sie nur mit bestimmten Endgeräten funktioniert, die noch nicht die Verbreitung haben, die für ein Massengeschäft nötig ist. Man muss berücksichtigen, dass es keinen Sinn macht, beim Endkunden jeweils die neuste technische Entwicklung bei den Smart-Devices vorauszusetzen.
Optische Lösungen arbeiten mit historischen Bildern, das heißt, dass Veränderung des Szenarios wie beispielsweise in Einkaufszentren übliche regelmäßige Umbaumaßnahmen das System stören und ein erneutes abfilmen erfordern. Nachteil dieser Technologie könnte auch die Usability sein. Es wird sich noch zeigen, ob der Nutzer die ganze Zeit sein Handy vor sich her tragen möchte, was aber für einen räumlichen Abgleich via Kamera nötig wäre. Auch im Hinblick auf den Trend zu Wearables wie Smart-Watches zeigen optische Lösungen Schwächen, da Sie auf diesen Devices nicht funktionieren. Zudem können optische Lösungen nicht im Hintergrund laufen und verbrauchen im Vergleich viel Akku-Energie. Eine Positionierung und Navigation mithilfe von LED-Bändern erfordert einen hohen Aufwand beim Einbau und hat ästhetischen Einschränkungen. Denn die Technologie funktioniert tatsächlich nur dort, wo auch LED-Bänder verbaut sind.
Zuletzt die funkbasierten Technologien: Für diese ist immer zusätzlicher Hardware erforderlich, was mit Kosten und Aufwand verbunden ist. Der Aufwand beim Einbau und für die Wartung ist aber bei Beacons im Vergleich zu beispielsweise den angesprochenen LED-Bändern wesentlich geringer, da Beacons grundsätzlich keine Stromversorgung benötigen. Zudem können Beacons in jede Umgebung unauffällig und einfach integriert werden. Der größte Vorteil der Beacontechnologie ist aus meiner Sicht, dass sie – auch im Gegensatz zu RFID-Lösungen – zuverlässig mit allen üblichen Devices funktioniert uns so einer breiten Masse zugänglich wird.
WLAN-Lösungen sind im Vergleich zu Beacon-Lösungen aufgrund der vor allem in großen Installationen benötigten zahlreichen Access Points extrem teuer und WLAN, das weiß auch jeder aus eigener Erfahrung, bleibt eben störanfällig. Die Zukunft und auch unser Fokus in der Weiterentwicklung liegen in der Kombination der Vorteile der jeweiligen Techniken.
Wie werden sich diese Technologien in Zukunft entwickeln?
Wie gesagt wird die Zukunft sicher in einer Kombination der verschiedenen Techniken liegen, die die Vorteile jeder einzelnen Möglichkeit zur Positionsbestimmung ausnutzt und dabei ein Höchstmaß an Komfort für den Endnutzer bei einem Höchstmaß von Positionierungsgenauigkeit garantiert. Wir müssen dabei im Auge behalten, dass eine immer genauere Positionierung im Hinblick auf die Usability in vielen Fällen vernachlässigt werden kann. Wir trauen einem Kunden zu, wenn er zwei Meter vor der Ladentüre steht, diese dann auch selbst zu finden.
Überhaupt ist Usability das Stichwort. Der Normalfall ist nicht, dass jemand auf der Suche nach seinem Weg zu einem bestimmten Store beispielsweise in einem Shoppingcenter 500 Meter stur auf sein Device starrt. Unsere Technologie kann zwar natürlich bis auf die letzten Meter navigieren, soll dem Endnutzer aber vor allem komfortable Orientierungspunkte geben. Wir beobachten deshalb sehr genau, wie Endnutzer die Navigation nutzen und richten unsere Entwicklung vor allem daran aus.
Ihr habt bereits viele Kundenprojekte durchgeführt. Wo liegen zurzeit die häufigsten Anwendungsbereiche und wo wird sich dies in den kommenden Monaten hin entwickeln?
Aktuell sieht vor allem der stationäre Einzelhandel völlig zu Recht große Chancen in der Beacon-Technologie. Hier geht es derzeit vor allem um Navigation, Proximity und die Kundendatenanalyse. Und nicht nur wir dringen mit dieser Erkenntnis jetzt auch zu den Entscheidern durch. Ich persönlich glaube, dass es sich zum einen große Infrastrukturen wie Bahnhöfe, Krankenhäuser und internationale Airports in Zukunft kaum mehr leisten können auf die Möglichkeit einer komfortablen Navigation zu verzichten.
Auf der anderen Seite sehe ich für Location Based Services, die unter anderem die Positionierung umfassen, große Chancen, im Bereich Innenstadtmarketing und der hyperlokalen Werbung. Hier sind aber vor allem durchdachte Gesamtkonzepte inklusive Digitalisierungsmaßnahmen für die einzelnen Geschäfte nötig, inklusive Click & Collect und Sameday-Delivery. Es ist ein Feld, das wir gemeinsam mit vielen Partnern intensiv bearbeiten und das weit über reine Positionierung und Navigation hinausgeht.
Was rätst Du Unternehmen, die Indoor Positioning oder Navigation einsetzen wollen, ohne eine reichweitenstarke eigene App zu haben?
Das ist wirklich immer eine Frage des Einzelfalls. Wenn sich in einer Innenstadt Händler entscheiden in Ihren Läden Indoor zu navigieren, macht es nur Sinn wenn sich die einzelnen Unternehmer zusammenschließen und beispielsweise eine City-App anbieten, deren Vorteile so attraktiv sind, dass sie sich beim User durchsetzt. Hier ist dann auch der Einfallsreichtum des Stadtmarketings oder der jeweiligen Verbände gefragt.
Bei einem Flughafen sieht die Welt schon wieder anders aus. Hier muss man sich fragen, ob eine Indoornavigation dem Endkunden schon einen solchen Vorteil bietet, das er allein dafür bereit ist sich die App herunterzuladen. Wobei es eine mehrsprachige App eines Großflughafens natürlich einfacher hat, da hier ein klares Bedürfnis der Endkunden nach Navigation sowie orts- und zeitbasierten Information vorhanden ist und die App ein real existierendes Problem unkompliziert lösen kann.
Schlussendlich muss man immer aus der Sicht des Kunden denken. Welche Vorteile muss ich Ihm bieten damit er sich die App herunterlädt und dann auch nutzt. Das kann neben Indoornavigation zum Beispiel auf Free W-Lan sein.
Welche Erfahrungen habt Ihr/haben Eure Kunden mit der Akzeptanz der Nutzer gemacht?
Nicht nur die Downloadzahlen sondern auch die Öffnungsraten und die Nutzungsfrequenzen sind im Shoppingcenter-Bereich absolut überzeugend. Als Beispiel: Bei einer der ersten Installationen an der wir beteiligt waren, ging die App sofort in die Top10 der französischen Lifestyle-Apps. Am ersten Wochenende nach der Eröffnung hatten die Betreiber 27.000 Downloads. Es ist inzwischen einfach so, dass Kaufentscheidungen nicht mehr ohne Smartphone getroffen werden. Eine von Google initiierte Untersuchung hat ergeben, dass 66% aller Smartphone-User ihr Gerät im Geschäft zur Unterstützung der Kaufentscheidung nutzen. Andere Untersuchungen kamen auf noch höhere Zahlen. JiWire nennt beispielsweise satte 80%. Das deckt sich mit unseren Erfahrungen.
Und davon kann sich auch jeder Entscheider überzeugen, der einfach mal für eine halbe Stunde in seinem Einkaufszentrum auf und ab geht. Das Smartphone ist ein ständiger Begleiter gerade beim Shoppen geworden. Dadurch, dass wir bei Favendo dem Kunden bei unseren Produkten die volle Entscheidung darüber lassen, welche Informationen er erhalten möchte und uns selbst strenge Datenschutzreglungen auferlegt haben, haben wir die Akzeptanz auch bei sensiblen Handy-Nutzern zudem signifikant erhöht.
Werden Eure Lösungen auch im B2B-Bereich genutzt? Was waren hier die spannendsten Use Cases?
Im Grunde werden alle unsere großen Beacon-Installationen im B2B-Bereich genutzt. Denn jede Installation muss auch kritisch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit betrachtet werden. Ist die Infrastruktur einmal installiert kann Sie für unterschiedlichste Usecases genutzt werden.
Zum Beispiel kann der Infrastrukturbetreiber die Beacons an ein anderen Unternehmen für Marketingmaßnahmen vermieten oder die Lösungen zu besseren Steuerung von Personal nutzen. Da entsteht also eine Win/Win-Situation für alle Beteiligten. Und das finden alle Kaufleute sehr spannend. Persönlich möchte ich das Konzept gerne auf eine komplette Stadt ausweiten. Eine Beacon-Installation die sich über eine ganze City erstreckt. Das fände ich persönlich extrem spannend.
Danke, Richard, für das Interview.
Beitragsbild: Shutterstock
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