Interview mit Helma Torkamaan: Können Apps aktiv dazu beitragen, unsere Laune zu verbessern?

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Uhren, die unsere Aktivität nachhalten, gehören längst zum Alltag. Doch während wir unsere körperliche  derart fördern, lassen wir unsere Seele oft im Stich. Apps zur Stimmungserfassung wollen das ändern: Sind wir über längere Zeit niedergeschlagen, könnte uns ein System sanft dazu animieren, zum Arzt zu gehen, bei guter Stimmung schlägt es eine Fahrradtour fürs Wochenende vor. Unsere Arbeit organisieren, Freizeit planen, aber auch die eigene  im Auge behalten – all das sollen Apps zur Stimmungserfassung künftig vereinfachen.

Doktorandin Helma Torkamaan von der Arbeitsgruppe „Interaktive Systeme“ sucht derzeit Probanden, die mindestens zwei Wochen lang die Nutzeroberfläche ihrer  PAX Mood Tracker testen: Dazu gibt es je einen Fragebogen zu Beginn und Abschluss der Testphase sowie zweimal am Tag die Aufforderung, die momentane Stimmung einzugeben. Hierfür hat sie neun verschiedene Varianten entwickelt wie schriftliche Abfragen, interaktive Eingaben oder eine bildgestützte Kommunikation. Während der Studie werden die Nutzerdaten anonym gespeichert, um den Erfolg des jeweiligen Abfragesystems bewerten zu können. Im Interview mit mobile zeitgeist erklärt Helma Torkamaan, wie Apps dabei helfen können, unsere Stimmung im Alltag zu verbessern.

mz: Wie können Apps helfen, unser Stressniveau zu reduzieren? Warum brauchen wir solche Apps heutzutage? Sind wir mehr gestresst als vorher?

Helma Torkamaan: Hält man sich die Definition vor Augen, so konzentriert sich unsere Mood Tracker App im Moment nicht auf den Abbau von Stress. Stressabbau ist das Ziel der Haupt-App, die sich auf negative Stresserfahrungen konzentriert (Stresserfahrung ist nicht immer negativ, sie ist negativ, wenn sie eine schädliche emotionale oder sogar körperliche Reaktion hat).

Was wir in der Haupt-App tun wollen, ist, uns grundsätzlich mit den Tendenzen der Stressbewältigung zu befassen. Wir konzentrieren uns auch auf die negativen Folgen von Stress durch seine Abhängigkeit mit dem Affekt (Stimmungs-Tracking) sowie auf verhaltensbedingte und physiologische Folgen von Stress, die man einfangen könnte. Durch die Erhöhung unserer Stressbewältigungstendenzen, unserer Kapazitäten und Widerstandsfähigkeiten werden wir besser gerüstet sein, um mit unvorhersehbaren oder unkontrollierbaren Situationen umzugehen. Einige der Bewältigungstechniken können wir einüben, andere können wir lernen. Noch wichtiger ist es, dass es um Bewusstsein geht und darum, diesem Bewusstsein mit den richtigen Empfehlungen und Verbesserungen zu folgen.

Warum wir solche Apps heutzutage brauchen, ist eine Frage, die man beantworten könnte, wenn man an sich selbst denkt. Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) definiert psychische Gesundheit nicht als ein Fehlen von Krankheit, sondern als Wohlbefinden und den Zustand, in dem sich jeder Einzelne seiner Fähigkeiten bewusst ist, mit alltäglichen stressigen Lebensereignissen umzugehen und produktiv zu arbeiten. Während viele von uns sich ihrer körperlichen Gesundheit gewahr sind und tägliche Übungen durchführen, stellt sich die Frage, ob wir uns wirklich auch um unsere geistige Gesundheit kümmern?

Die Förderung der psychischen Gesundheit ist ein immer wichtigeres Diskussionsthema, und es werden immer mehr Forschungen zu diesem Bereich durchgeführt, wobei die daraus resultierenden Kosten genauer quantifiziert werden. Diese Kosten gelten nicht nur für den Einzelnen, sondern haben auch wirtschaftliche und soziale Auswirkungen. So wurden beispielsweise Milliarden von Euro als Folgekosten von arbeitsbedingtem Stress, Depressionen, Produktivitätsverlust und damit verbundenen Gesundheitskosten geschätzt (Siehe hier). Wenn wir die Folgen der psychischen Gesundheit für die körperliche Gesundheit betrachten, z.B. die Auswirkungen von Stress auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck, wird immer deutlicher, warum wir auch für unsere Förderung der psychischen Gesundheit immer mehr Unterstützung brauchen.

mz: Die PAX Mood App wurde entwickelt, um Menschen zu helfen, ihre Stimmung zu verbessern. Wie funktioniert die App im Detail? Können Sie einige Beispiele nennen, wie es die Benutzer ermutigen kann, auf sich selbst aufzupassen?

Helma Torkamaan: Diese App befindet sich in der Vorphase und wir müssen sie mit den Probanden testen, damit wir den effektivsten und benutzerfreundlichsten Ansatz zur Erfassung der Stimmung ermitteln können. Die geplante Haupt-App wird die Stimmung verbessern, indem sie gesundheitsfördernde Systeme einsetzt, um Empfehlungen für jeden Einzelnen zu personalisieren. Diese Empfehlungen konzentrieren sich sowohl auf die Verbesserung der Stimmung als auch auf den Abbau von Stress, und indem wir diese beiden psychologischen Phänomene gemeinsam angehen, hoffen wir, ein System aufzubauen, das wirksame Empfehlungen für jeden Einzelnen geben kann. Was wir bisher aus unserer Forschung gelernt haben, ist, dass Nutzer einer Empfehlung eher folgen, wenn sie die Empfehlung für wichtig halten. Das Schlüsselwort für die Empfehlung ist die Effektivität für den Einzelnen. Wir wissen auch, dass etwas, das ein Benutzer für effektiv hält, einem anderen nicht gefällt. Wir hoffen, dass wir durch die Personalisierung der Empfehlung mehr Benutzer für die Nutzung der Anwendung gewinnen können.

Um den Einsatz zu fördern, beabsichtigen wir auch, Gamification einzusetzen. Was ich hier diskutiere, ist unsere Planung und befindet sich, wie bereits erwähnt, noch in der Entwicklung und Forschung. Die Idee ist, ein Gesundheitsfördersystem aufzubauen, in dem Mikro- oder Verhaltensinterventionen für jeden Einzelnen personalisiert werden. Die Anwendung lernt automatisch aus den Präferenzen und dem Verhalten der Benutzer und personalisiert eine Empfehlung zum Stressabbau in Abhängigkeit von der Stimmung der Benutzer. Die Idee ist, dass das ideale System in der Lage sein sollte, die Personalisierung über das Smartphone durchzuführen.

mz: Welche Ergebnisse erwarten Sie nach dem Testlauf der App?

Helma Torkamaan: Dieser Testlauf wird uns helfen, zu wissen, welche Tracking-Technik genauer und benutzerfreundlicher ist und später für die Personalisierung verwendet werden kann. Basierend auf dem Ergebnis dieses Testlaufs sind wir in der Lage, die Komponente Stimmungsverfolgung zu integrieren und damit die stimmungsvolle Personalisierung der Empfehlungen zu erreichen.

mz: Wie ist der aktuelle Status der App und welche Aktivitäten sollte sie in Zukunft beinhalten?

Helma Torkamaan: Derzeit arbeiten wir am Gesundheitsfördersystem und entwickeln die Interventionen oder Empfehlungen. In Zukunft könnte die Anwendung Ihnen täglich Empfehlungen geben, die je nach Stimmung oder Stresserfahrung auf Sie zugeschnitten sind. Die Empfehlung wäre kontextabhängig, was bedeutet, dass sie beispielsweise die Nutzersituation und die Unterbrechbarkeit berücksichtigen würde. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das endgültige System in der Lage sein würde, Muster zu sammeln, zu analysieren, zu finden und Einflussfaktoren zu lernen, zu reflektieren und zu visualisieren oder zu berichten und den Benutzern die personalisierte Empfehlung zu geben.

mz: Welche technischen Entwicklungen erwarten Sie in Zukunft? Werden Apps unser Leben immer mehr verfolgen, um uns selbst zu „verbessern“?

Helma Torkamaan: Derzeit haben wir viele technologische Fortschritte, aber dennoch sind wir darauf beschränkt, vollständig eigenständige Lösungen zu haben, die völlig datenschutz-bewusst sind. Die Verfolgung unseres Lebens ist nur dann interessant und vorteilhaft, wenn wir für unsere Daten verantwortlich sind, besonders wenn wir über ein so sensibles Thema wie unsere Gesundheit diskutieren. Genau deshalb brauchen wir mehr Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet. Gesundheitsförderung und Prävention sind effektiver als jede Behandlung oder Heilung. Mit weiteren Fortschritten in der Zukunft sollten wir in der Lage sein, technische Entwicklungen durchzuführen, die es uns ermöglichen, gesünder und glücklicher zu leben.

mz: Vielen Dank für das Interview.

Über Carsten Thomas 236 Artikel
Autor und Gamingnerd. Stets interessiert an Tech-Innovationen, Medienwandel und Technikutopien. Redakteur bei mobile zeitgeist.

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