Forscher des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart haben mit anderen Forschern in Baden-Württemberg ein Hand-Exoskelett entwickelt, das aus einem zentralen Montagemodul sowie einzelnen, beweglichen Fingermodulen besteht. Im Vergleich zu bereits bestehenden Hand-Exoskeletten hat das in Stuttgart entwickelte Modell entscheidende Vorteile: Zum einen können die Module individuell für jeden Patienten und vor allem die Fingermodule sehr flexibel gestaltet werden. Damit erhält der Patient auch die Möglichkeit, seine Hand zu spreizen und einzelne Finger zu bewegen. mobile zeitgeist sprach mit dem Erfinder Prof. Dr. Jonathan Eckstein über das Projekt.
mz: Wie ist die Projektidee zustande gekommen?
Mechatronische Mensch-Technikschnittstellen wie beispielsweise die Exoskelette gehören schon seit Jahren zu unseren strategischen Forschungsthemen. „Unsere“ bedeutet hier, die der Fachabteilung „Biomechatronische Systeme“ am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und die der Fachabteilung „Mensch-Technik-Interaktion“ am Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb der Universität Stuttgart. Als Biomechatronik-Ingenieur habe ich unter der Abteilungsleitung von Dr. Urs Schneider und Prof. Jörg Siegert die Hand erfunden und entwickelt. Das sogenannte „KONSENS Handexoskelett“ wird von der Landestiftung BW gefördert und in der Abteilung Mensch-Technik-Interaktion am IFF der Uni Stuttgart umgesetzt.
mz: Wie lange hat die Entwicklung gedauert und welche Hürden mussten sie überwinden? Gab es mehrere Versuche, bis zur erfolgreichen Entwicklung des Hand-Exoskeletts?
Prof. Soekadar hat an der Universität Tübingen bereits viel Vorentwicklung im Bereich der Neurorobotik geleistet. Unser Projekt, das den Prototypen in Richtung Alltagstauglichkeit entwickelt, ist vor 1,5 Jahren gestartet. Nun haben wir seit Ende 2018 das Patent und die Landesstiftung BW hat die Technologielizenzbüro GmbH beauftragt, das Exoskelett zu vermarkten und an Dritte Lizenzen für die Produktion zu verkaufen.
Hürden waren vor allem die widersprüchlichen Anforderungen, die man miteinander verheiraten musste. Die Hand sollte leicht sein, aber stabil, sie sollte unauffällig sein, aber große Kräfte aufbringen können und natürlich sollte sie die Greiffunktion bereitstellen. Da mussten wir schon tüfteln.
mz:. Mit welchen Patienten haben Sie an dem Projekt zusammengearbeitet? Wie haben diese zum Erfolg des Exoskeletts beigetragen?
Die Erprobung durch Patienten und praktische Studien beginnen jetzt erst. Prof. Soekadar, mittlerweile Charité, Berlin, hat aber in seinen Tübinger Jahren mit einer Patientin gearbeitet, die vor 25 Jahren, als sie eine junge Frau war, einen Schlaganfall erlitten hat. Sie ist eine Schlüsselperson für unser Projekt.
Die Patienten helfen insbesondere, indem sie sich über ihre eigene Person hinaus engagieren. Unsere Patientin etwa hat schon längst Mechanismen entwickelt, wie sie mit der gelähmten Hand lebt und kommt prima ohne unser Exoskelett aus. Sie arbeitet jedoch für andere mit an unserem Projekt. Die Testpatienten können beitragen, indem sie das Exoskelett anlegen und berichten, ob es passt und Verbesserungsvorschläge machen. Ihr Körpergefühl ist ja ggf. ganz anders als bei einem Gesunden. Von den Patienten wissen wir beispielsweise, dass die einzelnen Exoskelett-Module mit einer Hand angezogen werden können müssen. Da haben wir jetzt einen Fokus drauf.
mz: Welche Funktionen kann das Hand-Exoskelett erfüllen und welche Erfahrungen haben die Patienten machen können.
Grundsätzlich beherrscht das Exoskelett mindestens zwei unterschiedliche Griffarten. Der Kraftgriff (mit dem Daumen als Gegengreifer) ist nützlich, etwa um eine Tasse zu ergreifen. Der seitliche Fingerbeerengriff dagegen taugt zur filigraneren Handhabung, etwa zum Greifen einer Kreditkarte, einem Stift oder ähnlichem. Für Nachfolgeprojekte ist in der Entwicklung der Funktionalitäten noch viel Luft nach oben…
mz: Aus welchem Material besteht das Exoskelett? Wie ist es aufgebaut und wie funktioniert es?
Der Prototyp besteht aus lasergesintertem Nylonkunststoff, PA12 –Polyamid. Bei größerer Stückzahl werden vielleicht auch andere Materialien und Fertigungsverfahren zum Einsatz kommen, aber das ist Zukunftsmusik.
mz: Wie sehen die weiteren Entwicklungsschritte beim Exoskelett aus? Mit welchen Partnern arbeiten sie zusammen?
Wir suchen nun einerseits nach Interessenten für die spätere Vermarktung des Patents; dabei hilft die Technologielizenzbüro GmbH in Karlsruhe. Unser Forschungsprojekt dauert noch bis zum Frühjahr 2020 an. Jetzt testen und verfeinern wir das Exoskelett weiter. Im Anschluss möchten wir dann ein wissenschaftliches Nachfolgeprojekt starten, in dem weitere Forschung durchgeführt wird, die bis zur tatsächlichen Anwendung geht. Mit dem Projektende in 2020 ist die ganze Entwicklung zur Marktreife ja noch lange nicht abgeschlossen.
Neben den beiden Forschungsinstituten Fraunhofer IPA und IFF der Universität Stuttgart sind das Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften, Tübingen, und die Hochschule Reutlingen beteiligt.
mz: Vielen Dank für das Interview.
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