Interview: Bei Industrie 4.0 muss der Mittelstand Initiative ergreifen

Industrieunternehmen müssen ihre Potentiale in Bezug zu Industrie 4.0 besser nutzbar machen, um wirtschaftlich dran zu bleiben.
Foto: pixabay, Gerd Altmann

Die Implementierung von Industrie 4.0 in die Infrastruktur von Unternehmen ist nicht mehr nur nicht wegzudenken, sie wird für einige auf Dauer elementar für das wirtschaftliche Überleben. Und doch ist es gerade der Mittelstand, der die Entwicklung oftmals verschläft. Im Interview mit mobile zeitgeist erklärt Dr. Jochen Schlick, Senior-Partner bei Staufen Digital Neonex, wie Industrieunternehmen ihre Potentiale besser nutzen können.

mz: Laut dem von Ihnen publizierten Industrie 4.0 Index ist Industrie 4.0 in Form des Einsatzes von Internet-Plattformen bei jedem zweiten Unternehmen angekommen. Und doch gibt es Nachholbedarf bei mittelständischen Betrieben, um den digitalen Wandel einer neuen Arbeitswelt erfolgreich zu vollziehen. Woran hapert es und was müssen Industrieunternehmen in Deutschland tun, um weg von “technischen Spielereien” hin zu einer wirklich funktionierenden Produktionskette im Sinne der Industrie 4.0 zu gelangen?

Dr. Jochen Schlick: Noch immer herrscht bei vielen Unternehmen das Missverständnis vor, Industrie 4.0 sei ein vorrangig technisches Thema, um das sich die Entwicklungs- und die IT-Abteilung zu kümmern haben. An den operativen Bereichen wie Vertrieb oder Kundenservice läuft die Diskussion hingegen häufig komplett vorbei oder das Potenzial wird dort schlichtweg nicht erkannt. Dabei gibt es jede Menge digitale Tools, die gerade ihre Prozesse optimieren könnten. Daher müssten diese Bereiche eigentlich die Treiber sein, um eingefahrene Prozesse zu automatisieren und zu verkürzen. Das dies meist nicht der Fall ist, liegt auch daran, dass in diesen Abteilungen häufig Angst oder zumindest Skepsis beim Thema Veränderung und Wandel herrscht.

Unterm Strich gibt es aus meiner Sicht also drei Gründe: Angst vor Veränderung, mangelndes Verständnis sowie falsche Einordnung des Themas.

mz: Sie beschreiben, wie sich die ungenutzten Möglichkeiten industrieller Plattformen über Web-Portale nutzen lassen. Wie kann man sich solch eine offene Plattform vorstellen und was müssen mittelständische Unternehmen tun, um diese zu realisieren?

Dr. Jochen Schlick: Gute Beispiele sind die vom Maschinebauer Trumpf gegründete Industrie-4.0-Plattform Axoom aber auch das webbasierte und lizenzfreie 3D-Designtool SCHUNK eGRIP. Mein Tipp an die Unternehmen: Machen, nachdenken, lernen, machen, nachdenken, lernen, …

mz: Herrscht in Deutschland ein mangelndes Bewusstsein gegenüber der Bedeutung von Industrie 4.0 vor? Bedingt dies, dass viele Betriebe zögern, die Infrastruktur im Sinne einer Industrie 4.0 zu verändern? Und wenn ja, was sind die Ursachen? Angst, Unkenntnis der Materie oder zu wenig Risikobereitschaft?

Dr. Jochen Schlick: Sicherlich herrscht einerseits noch ein mangelndes Bewusstsein vor. Viele Unternehmenslenker stammen noch aus der analogen Zeit. Amazon, Airbnb, Alexa, Siri o.ä. spielen in ihrem Alltag – auch im privaten Bereich – häufig noch keine Rolle. Andererseits sind viele Unternehmen mit technologischen Alleinstellungsmerkmalen ihrer Produkte groß geworden. Das Internet, Sensoren und die digitale Vernetzung werden daher ebenfalls ausschließlich als Technologien wahrgenommen, die es zu beherrschen gilt, um erfolgreich zu sein. Leider funktioniert das Geschäft mit dem Internet so nicht. Hier geht es um das Geschäftsmodell, die Einfachheit in der Anwendung der Lösung, um die Kundenbasis und um digitalen Content. Technologie ist nur noch ein Mittel zum Zweck. Dieser Paradigmenwandel stellt das Weltbild vieler Unternehmenslenker auf den Kopf. Es ist ein „Innovators-Dilemma“, das sich nur durch einen sich sichtbar verändernden Markt und klare Kundennachfragen auflösen lässt.

Zudem ist zu beobachten, dass das Zögern in der Umsetzung neuer Ideen im Wesentlichen auf das rationale Ausreizen eines gerade gut laufenden Marktes zurückzuführen ist, statt die aktuell begrenzten Ressourcen in eine risikoreiche Neuentwicklung zu stecken.

mz: Wie sehen sie Deutschlands Position im globalen Vergleich, wenn es um die Digitalisierung der Arbeitswelt geht? 

Dr. Jochen Schlick: Wir sind als Beratung auch international unterwegs. Die in Deutschland noch immer eher verkrampfte Haltung dem Thema Digitalisierung gegenüber lässt sich in vielen Ländern – gerade in Asien – so nicht beobachten.

mz: Welchen Einfluss nehmen die neuen Medien wie Augmented oder Virtual Reality für die Digitale Transformation ein?

Dr. Jochen Schlick: Es sind technische Hilfsmittel, die durchaus gewinnbringend eingesetzt werden können und z.B. Prozesse im Customer Service oder in der Logistik signifikant erleichtern. Als Technologie selbst sind sie aber nur ein Mittel zum Zweck. Ich warte immer noch darauf, dass sich um diese Technologien die ersten Ausgründungen etablierter Unternehmen bilden, die darauf basierend z.B. erfolgreiche Service-Geschäftsmodelle aufbauen.

mz: Vielen Dank für das Interview.

Über Carsten Thomas 236 Artikel
Autor und Gamingnerd. Stets interessiert an Tech-Innovationen, Medienwandel und Technikutopien. Redakteur bei mobile zeitgeist.

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