Felix Hofmann: “Der Ärzteschaft in der digitalisierten Medizinwelt wird viel Arbeit abgenommen werden”

Die Erwartungen an digitale Lösungen sind immens. Auch das Gesundheitswesen steht großen Herausforderungen gegenüber. mz interviewte Felix Hofmann, Doktorand der Medizin und Gründer, welche Rolle Patientendaten bei der Digitalisierung der Medizin spielen werden.
Quelle: Felix Hofmann

Digitalisierung ist ein beliebtes Buzzword, wenn einem die Wörter ausgehen, um die Zukunft zu beschreiben. Digitalisierung ist wichtig, unabdingbar und auf alle Fälle machbar. So wird es zumindest gerne postuliert. Die Wahrheit ist jedoch eine andere. Das bemerken Wirtschaft und Gesellschaft immer wieder. Die Anforderungen und Erwartungen an digitale Lösungen sind immens. Auch das Gesundheitswesen steht großen Herausforderungen gegenüber. Um die digitale Transformation zu gestalten, werden gut ausgebildete Fachkräfte benötigt. Und bei Digital Health darf der Faktor Mensch nicht vergessen werden. mz interviewte dazu Felix Hofmann, Doktorand der Medizin und Gründer, welche Rolle Patientendaten bei der Digitalisierung der Medizin spielen werden und wie der Mensch sich in dieser Zukunft zurecht finden wird.

Deep Learning erfordert Datensätze auf exzellentem Niveau

mz: Inwieweit werden die immer ausführlichen Datensätze dabei helfen, individuelle Therapieansätze für Patienten zu generieren?

Die Rolle der Daten in der Entwicklung individueller Therapieansätze für Patienten wird zwar sicher noch unterschätzt. Dennoch muss man im ersten Schritt dafür sorgen, dass die Qualität der derzeit verfügbaren Datensätze vereinheitlicht und für die Forschung brauchbar gemacht wird. Damit ein Deep Learning-Modell trainiert werden kann, müssen die Datensätze vorher auf ein exzellentes Niveau gebracht werden. Die Daten, die im medizinischen Kontext erhoben werden, haben aus diesem Grund auch nicht per se einen hohen Wert. Wenn man aber nun beispielsweise einige hunderttausend hochauflösende Aufnahmen von Melanomen und gutartigen Leberflecken hat und dazugehörige Befunde, die von Medizinern in einer für Maschinen auslesbaren Form verfasst wurden, kann eine Maschine in diesen Datensätzen für das menschliche Auge verborgene Muster erkennen.

Ein Dermatologe sieht während seiner Karriere, also mehreren Jahrzehnten, schätzungsweise 200.000 Fälle. Eine Maschine kann hunderttausende Datensätze innerhalb kürzester Zeit auf immer wieder neue Art analysieren und kann dabei auf bereits identifizierte Muster bauen. Man muss kein Genie sein, um an diesem Beispiel zu erahnen, dass Algorithmen sehr bald vorgeben werden, wann eine Hautläsion zu therapieren ist. Füttert man den Algorithmus noch mit postoperativen Daten, dann wird in einiger Zeit auch maschinell eine Aussage getroffen werden können, welche Therapie individuell die beste ist.  

Die immer ausführlicheren historischen Patientendaten in Kombination mit schneller und kostengünstiger DNA-Sequenzierung erlauben darüber hinaus eine perfekte, individuelle Dosierung von Medikamenten. Beispielsweise wird das bekannte Medikament Paracetamol über das sogenannte Cytochrom-P450-Enzymsystem verstoffwechselt. Dabei hat jedoch jeder Mensch eine unterschiedliche Enzymausstattung und verstoffwechselt das Medikament entsprechend unterschiedlich schnell. Mit genauen Patientendaten kann man künftig genau vorhersagen, welche Dosierung für einen Patienten ideal ist.

Darüber hinaus werden wir in den nächsten 5 Jahren womöglich neue Medikamente auf dem Markt sehen, die mithilfe von Big Data und AI entwickelt wurden. Experten gehen davon aus, dass durch den Einsatz von großen Datensätzen und AI der Entwicklungsprozess von Pharmazeutika deutlich schneller und kostengünstiger gestaltet werden kann. Das liegt daran, dass Wechselwirkungen, Ansatzpunkte für Medikamente und Wirkungsvorhersagen mithilfe von AI im Vorhinein simuliert werden können.

„Was wäre, wenn eine Ärztin künftig innerhalb von 2 Minuten gezielt alle Informationen über einen Patienten erhalten würde?“

mz: Wo steht der Mensch in solch einer digitalisierten Medizinwelt?

Lynda Chin, eine amerikanische Ärztin und weltbekannte Krebsforscherin, hat sinngemäß folgende Vision geäußert: Was wäre, wenn eine Ärztin künftig innerhalb von 2 Minuten gezielt alle Informationen über einen Patienten erhalten würde, die sie braucht und anschließend 13 Minuten mit dem Patient ein Gespräch führt, statt wie bisher 13 Minuten lang die unvollständigen und verstreuten Informationen zusammenzutragen, um dann nur noch 2 Minuten Zeit für ein Gespräch mit dem Patienten zu haben? Dieselben 15 Minuten Zeit pro Patient würden durch die Digitalisierung weitaus menschlicher ablaufen, als sie es bisher tun.

mz: Wird das Doktor-Patienten-Verhältnis sich verändern, wenn Analyse-Tools mehr und mehr an Bedeutung gewinnen?

Ich bin überzeugt, dass der Ärzteschaft in der digitalisierten Medizinwelt viel bürokratische, diagnostische und therapeutische Arbeit durch intelligente Algorithmen und Devices abgenommen werden wird. Die gewonnene Zeit kann dafür genutzt werden, um sich in einer empathischen Gesprächsführung so intensiv mit den Patientinnen und Patienten auseinanderzusetzen, dass diese sich verstanden und sicher in unserem Gesundheitswesen fühlen. Ärzte werden wieder zu Vertrauenspersonen. Ebenso habe ich die Hoffnung, dass der Stresslevel von Medizinern abnimmt. Zum einen durch eine verringerte Arbeitslast und zum anderen durch die beruhigende Absicherung, dass medizinische Entscheidungen von künstlicher Intelligenz überprüft werden.

„Wir werden auch eine kulturelle Transformation erleben“

mz: Wird der Patient “nur” eine Datei sein, die seinen Krankheitsverlauf darstellt?

Ebenso denke ich, dass wir eine kulturelle Transformation erleben werden. Disruptive Technologien sorgen schon heute dafür, dass sowohl Ärzte als auch Patienten Zugriff zu hochklassigen Informationen haben. Beim Betreten des Arztzimmers sind Patienten häufig bereits bestens informiert und können mit den Ärzten fast auf Augenhöhe über ihre Erkrankung und die bestehenden Therapiemöglichkeiten sprechen. Gleichermaßen ermöglichen Online-Bewertungsportale einen groben Einblick in die Kompetenz eines Arztes und bieten mögliche Alternativen in der Umgebung an. Als Patient ist man also nicht mehr dem paternalistischen Halbgott in weiß ausgeliefert, sondern kann Ansprüche stellen und ist gleichberechtigt im Arzt-Patient-Verhältnis.

mz: Wie ist Ihre Meinung zu Pflegerobotern? In naher Zukunft realisierbar und sinnvoll oder nur Spielerei?

Ich denke, wir sollten grundsätzlich zwei Sorten von Assistenzleistungen unterscheiden, wenn wir von Roboterkompagnons in der Pflege sprechen. Bei der ersten Sorte agiert der Roboter als Helfer, der einem pflegebedürftigen Menschen ganz praktische Tätigkeiten abnimmt, zu denen er selbst nicht in der Lage ist. Das kann von alltäglichen Haushaltstätigkeiten, über intelligente Sensorsysteme, die bei Stürzen einer pflegebedürftigen Person einen Notruf absetzen, bis hin zu körperlicher Unterstützung beim Transfer aus einem Bett in einen Rollstuhl reichen. Roboter, die solche Hilfestellungen leisten, müssen in ihrer Erscheinung nicht menschlich anmuten. Man kann sich bei ihrem Design an ihrer technischen Funktionalität orientieren. Solche Konzepte sind keineswegs Spielerei und sind teilweise schon im Einsatz.

Bei der zweiten Sorte von Assistenzleistungen steht die Mensch-Maschine-Interaktion selbst im Zentrum. Es geht hierbei darum, mithilfe eines Roboters den menschlichen Wunsch nach emotionalem Austausch zu befriedigen. Das umfasst nicht nur die sprachliche Fähigkeit eines Roboters, die eine intuitive Kommunikation zwischen Maschine und Mensch ermöglicht. Es geht vor allem darum, dass Roboter ohne tatsächlich Empathie empfinden zu können in einer Interaktion empathisches Verhalten nachbilden. Das emotionale Befinden des Pflegebedürftigen wird mithilfe von Bild- und Tondaten wahrgenommen. Im Anschluss simuliert der Roboter eine adäquate Reaktion und könnte durch eine intelligente Analyse des Inputs eine Handlungsempfehlung für das menschliche Gegenüber entwickeln.

Ehrlich gesagt finde ich diese Vorstellung im Moment noch beängstigend. Der intensive gesellschaftliche Diskurs über die ethischen und sozialen Implikationen derartiger Technologien zeigt, dass wir Menschen noch nicht sicher sind, wie wir dieser zweiten Sorte von Assistenzleistungen gegenüberstehen. Ich bin überzeugt, dass es am gesündesten ist, wenn Menschen Beziehungen untereinander pflegen. Die Interaktion mit einem Roboter ist aber immer noch besser, wenn die Alternative das komplette Alleinsein wäre.

Eine schöne Umsetzung finde ich den Roboter „Mylo“ aus Irland, der es ermöglicht Pflegebedürftigen über Video-Chat mit ihren Angehörigen und Freunden zu kommunizieren.

Ich denke, dass Pflegeroboter eine wunderbare Ergänzung menschlicher Pflege sein können. Meiner persönlichen Meinung nach sollte hierbei den Pflegekräften körperlich zehrende Tätigkeiten abgenommen werden, um mehr Raum für die zwischenmenschliche Komponente zu schaffen. Das sollte im Vordergrund stehen, damit Pflegekräfte entlastet werden und sich angemessen mit dem Menschen auseinandersetzen können.

mz: Vielen Dank für das Interview.

Über Carsten Thomas 236 Artikel
Autor und Gamingnerd. Stets interessiert an Tech-Innovationen, Medienwandel und Technikutopien. Redakteur bei mobile zeitgeist.

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