Dr. Julia Brailovskaia: Wie Stress in die Facebooksucht führen kann

Freunde in sozialen Netzwerken wie Facebook können in Stressphasen eine große Hilfe sein. Fehlt es aber an Unterstützung offline, besteht die Gefahr einer Facebooksucht. Im Interview mit mobile zeitgeist erklärt Dr. Julia Brailovskaia, wie es zu solch einer Sucht kommen kann.
Quelle: Ruhr-Universität Bochum

Freunde in sozialen Netzwerken wie Facebook können in Stressphasen eine große Hilfe sein. Fehlt es aber an Unterstützung offline, besteht die Gefahr, dass gestresste Nutzerinnen und Nutzer eine pathologische Bindung an das soziale Netzwerk entwickeln – eine Art Facebooksucht. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team des Forschungs- und Behandlungszentrums für psychische Gesundheit der Ruhr-Universität Bochum (RUB) um Dr. Julia Brailovskaia. Im Interview mit mobile zeitgeist erklärt sie, wie es zu solch einer Facebooksucht kommen kann.

mz: Was sind die Hauptgründe dafür, dass manche Nutzerinnen und Nutzer eine pathologische Bindung an ein soziales Netzwerk entwickeln, sodass es zur Sucht wird?

Die soziale Netzwerkseite Facebook verzeichnet mehr als 2,37 Milliarden Mitglieder, von denen mehr als 1,56 Milliarden täglich online gehen. Die hohe Popularität von Facebook geht unter anderem darauf zurück, dass es seinen Mitgliedern zahlreiche Möglichkeiten zur sozialen Interaktion bietet, die ein wichtiges menschliches Bedürfnis darstellt. Im sozialen Austausch mit den Facebook-Freunden erfährt man häufig positiven Zuspruch in Form von „Likes“ und positiven Kommentaren. Diese angenehme Erfahrung fördert weitere Facebook-Nutzung und erhöht die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer engen emotionalen Bindung an die soziale Plattform. Diese kann einen pathologischen Charakter annehmen, was insbesondere dann geschieht, wenn die Facebook-Nutzung zur einzigen wahrgenommenen Quelle positiver Emotionen wird. Dabei wird die blaue Welt häufig als ein Fluchtort vor den Problemen des offline Alltages betrachtet. Man taucht in diese ein, kann zumindest für eine gewisse Zeit dem stressreichen Alltag entkommen und findet online soziale Unterstützung. Diese ist besonderes dann wichtig, wenn man offline zu wenig soziale Unterstützung erfährt. Allerdings fördert genau diese positive Erfahrung längerfristig die Entwicklung einer Suchttendenz.

Die Nutzung moderner digitaler Medien wird Teil des Alltags – und damit auch Teil des Problems

mz: Wir verbringen alle mehr Zeit an Bildschirmen. Inwieweit spielt unsere moderne, digitale Arbeits- und Lebenswelt bei der Entstehung einer Facebooksucht eine Rolle?

Heute ist die Nutzung moderner digitaler Medien Teil des Alltags vieler Menschen. Sie ermöglichen einen schnellen Austausch – zeit- und ortsunabhängig. Dies fördert die Effizienz am Arbeitsplatz in zahlreichen Berufen und erleichtert viele Vorgänge im Alltagsleben. Allerdings trägt genau dies auch dazu bei, dass man sich immer abhängiger von den digitalen Diensten macht. So ist es heutzutage für viele – insbesondere jüngere Menschen – undenkbar, zumindest für ein paar Tage auf ihre Nutzung zu verzichten. Dies stellen wir immer wieder in einer unserer aktuell laufenden Untersuchungen fest, in der wir Probanden suchen, die bereit sind für den Zeitraum von einer Woche auf die Smartphone Nutzung zu verzichten. Auch Facebook ist gehört zu den Diensten, die für Viele unverzichtbar zu sein scheinen. Denn hier werden unter anderem wichtige Informationen für die Schullaufbahn, das Studium und manchmal auch den Beruf ausgetauscht. Zugleich findet man auf Facebook häufig Ratschläge fürs Alltagsleben und kann auch seine eigene Meinung ausdrücken. Beteiligt man sich nicht am Facebook-Geschehen, entsteht oft das Gefühl, Wichtiges zu verpassen, an Popularität zu verlieren und nicht mehr Teil des Ganzen zu sein. Dies fördert negative Emotionen, die wiederum zur Flucht in die blaue Welt beitragen und auf diese Weise das Risiko für die pathologische Bindung steigern.

Die pathologische Bindung an Facebook nennt sich „Facebook Addiction Disorder“

mz: Viele haben Facebook und andere soziale Netzwerke auch aus beruflichen Gründen nebenher laufen. Ab wann kann man hier von einem Suchtverhalten sprechen, welche Symptome sind dafür ausschlaggebend?

Die pathologische emotionale Bindung an Facebook, die im Englischen auch als die „Facebook Addiction Disorder (FAD)“ bezeichnet wird, lässt sich mithilfe von sechs suchttypischen Merkmalen definieren. Hierzu gehört die Salienz (d.h. ständige aktive und kognitive Beschäftigung mit der Facebook-Nutzung), Toleranz (d.h. man verbringt immer mehr Zeit mit der Facebook-Nutzung um den gleichen positiven Effekt zu erzielen, wie zuvor bei einer geringeren Nutzungsdauer), Stimmungsmodifikation (d.h. Facebook wird immer dann aufgesucht, wenn man seine Stimmung verbessern möchte), Rückfälle (d.h. trotz bewusster Versuche die Facebook-Nutzung zu reduzieren, fällt man immer wieder in die alten Nutzungsmuster zurück), Entzugssymptome (d.h. man empfindet körperliches und psychisches Unbehagen, Ängstlichkeit, Nervosität, wenn man nicht in der Lage ist Facebook zu nutzen) und Konflikte (d.h. Auseinandersetzungen in der offline Welt, die aufgrund der hohen Nutzungsintensität von Facebook entstehen). Liegen diese Merkmale, die sich mithilfe der Bergen Facebook Addiction Scale erheben lassen, in einer erhöhten Ausprägung vor, spricht man von einer erhöhten FAD-Tendenz. Entsprechend der konservativen Betrachtungsweise müssen alle sechs Merkmale hoch ausgeprägt sein. Orientiert man sich an einer lockereren Sichtweise, sollte dies bei mindestens vier der Merkmale der Fall sein.

mz: Vielen Dank für das Interview.

Über Carsten Thomas 236 Artikel
Autor und Gamingnerd. Stets interessiert an Tech-Innovationen, Medienwandel und Technikutopien. Redakteur bei mobile zeitgeist.

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