Interview: Wie prädiktive Modelle in der Medizin Behandlungen revolutionieren können

Prädiktive Modelle können Behandlungen in der Transplantation-Medizin verändern.
Foto: pixabay, Gerd Altmann

Wenn eine Strahlen- oder chemotherapeutische Behandlung von Leukämie oder Lymphomen keinen ausreichenden Erfolg bringt, ist die  von Knochenmark- oder Blutstammzellen zumeist die letzte Chance auf Heilung. Ein Großteil der Patienten stirbt bisher leider trotz , oft durch spontan auftretende Infektionen, Transplantat-gegen-Empfänger-Reaktionen oder Rezidiven. Neuartige Vorhersagemodelle für den individuellen Krankheitsverlauf, wie sie im Forschungsprojekt  entwickelt werden, prognostizieren Auftreten und Ausmaß der genannten Risiken und ermöglichen Transplantationsmedizinern so eine frühzeitige, lebenserhaltende Intervention bei gefürchteten Komplikationen. Im Interview mit mobile zeitgeist erklärt das Team von Fraunhofer-Institut Biomedizinische Technik (IBMT), was XplOit ist und wie es funktioniert.

mz: Wie können Prädiktive Modelle Medizinern in ihrem Arbeitsalltag dabei helfen, das Risikopotential von Komplikationen bei Behandlungen zu verringern?

Prädiktive Modelle können Ärzte dabei unterstützen, für den einzelnen Patienten maßgeschneiderte Interventionen und Behandlungen nach der Transplantation rechtzeitig anzuwenden. Solche Modelle können dazu beitragen, die personalisierte Medizin in die Praxis umzusetzen, indem sie das Risiko von Krankheiten und Behandlungsreaktionen vorhersagen. Lebensbedrohliche Komplikationen, wie spontan auftretende Infektionen, Transplantat-gegen-Empfänger-Reaktion und Rezidive, können schneller erkannt und frühzeitiger als heute behandelt werden.

mz: Was ist “XplOit” und wie genau funktioniert es? Inwieweit spielt Künstliche Intelligenz bei der Validierungsplattform eine Rolle?

XplOit ist eine innovative Datenintegrations-, Modellentwicklungs- und Validierungsplattform, die ein Projektverbund unter der Federführung des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT bereitgestellt hat. Zur Entwicklung von Vorhersagemodellen werden umfangreiche klinische Bestandsdaten von möglichst vielen Patientenfällen benötigt. Die Plattform erleichtert die Entwicklung und Überprüfung solcher Vorhersagemodelle, in dem sie diese klinischen Datenbestände so aufbereitet, dass sie für die systemmedizinische Forschung nutzbar sind. So können Ärzte anonymisierte und semantisch integrierte Daten zur Verfügung stellen. Komfortable Tools ermöglichen hier, die Bedeutung der Daten zu vermerken und diese zu harmonisieren . Forscher können diese integrierten und harmonisierten Daten durchsuchen und analysieren, um mögliche Zusammenhänge zu erkennen und erste Hypothesen zu generieren. Sie exportieren den für eine Modellbildung relevanten Teil der Daten, entwickeln ein Vorhersagemodell zum Beispiel mit Verfahren des Maschinenlernens und stellen das prototypische Modell für seine weitere klinische Überprüfung in der XplOit-Plattform als Dienst bereit, wo es mit aktuellen Patientendaten zur Ausführung gebracht werden kann. Die so entstandenen prädiktiven Modelle, die Komplikationen nach Stammzelltransplantation vorhersagen können, schaffen die Grundlagen für den künftigen Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Transplantationsmedizin.

mz: Können prädiktive Modelle in Zukunft einen entscheidenden Beitrag bei der Diagnose und Behandlung von Patienten einnehmen?

Wie in der Transplantationsmedizin können auch in anderen Fachbereichen prädiktive Modelle Klinikern bei der Entscheidungsfindung von Diagnose und Behandlung von Patienten unterstützen. Als Vorhersageinstrumente können sie vor Komplikationen im Krankheitsverlauf warnen oder das Therapieergebnis prognostizieren und so Therapiealternativen durchspielen. Auch können sie trainiert werden, Krankheitsbilder zu klassifizieren und so den Arzt unterstützen. Wie gut sie dabei sind, muss für jedes Modell im Einzelfall validiert werden. Für ihre Praxistauglichkeit als Entscheidungshilfen ist auch erforderlich, dass sie nahtlos in die klinische IT-Infrastruktur und die Behandlungspfade eingebunden sind und kein umständliches Füttern mit Patientendaten erfordern.

mz: Wie wird im Projekt mit dem Thema Datenschutz umgegangen? Wie wird in dem Rahmen mit Patienteninformationen umgegangen?

Die Funktionalitäten der XplOit-Plattform entsprechen der Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) und den modernen Anforderungen an die Datensicherheit. Es werden ausschließlich de-facto-anonymisierte Datensätze verwendet. Das Datenschutzkonzept wurde von Datenschutzbeauftragten geprüft und die zuständige Ethikkommission wurde eingebunden. Zudem wurde zwischen Dateninhabern und Datennutzern eine Datenschutzvereinbarung getroffen, die den Umgang mit den klinischen Daten regelt.

mz: Wie sehen Sie die Entwicklung in Bezug zu KI und Medizin in etwa 10 Jahren?

KI in Form von prädiktiven Modellen, Simulationswerkzeugen oder Klassifikationstools wird sich in vielen Bereichen der Medizin etablieren und Ärzten eine fundierte Entscheidungshilfe bieten, die dazu beiträgt die Patientenversorgung weiter zu verbessern. Teilweise wird sie in medizinische Geräte eingebettet sein, als Add-on-Tools zur Verfügung stehen oder auch zu neuen medizintechnischen Systemen führen. Klinische Experten wird die KI nicht ersetzen können. Mit der Genauigkeit der Vorhersagen und Klassifikation von KI-Komponenten muss weiterhin kritisch umgegangen werden.

mz: Vielen Dank für das Interview.

Über Carsten Thomas 236 Artikel
Autor und Gamingnerd. Stets interessiert an Tech-Innovationen, Medienwandel und Technikutopien. Redakteur bei mobile zeitgeist.

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