[Interview] Die App weiß, was ich will – Sind ‚predictive apps‘ die Königsklasse mobiler Applikationen?

predictive apps

Die Wünsche des Nutzers vorherzusehen und ihm im richtigen Moment das richtige Angebot zu machen, so dass er klickt und kauft ist schon sehr lang der feuchte Traum von Werbern und Markenunternehmen. Es gilt, sich mit dem richtigen und für den Nutzer wichtigen Angebot abzuheben, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und von ihm gewählt zu werden.

Dies ist auch eine der größten Herausforderungen für App-Anbieter, deren Apps neben den Millionen anderen in den App-Stores gefunden, dann installiert und genutzt werden wollen.

Die Analysten von Forrester haben nun ein neues Modell, die „predictive apps“ vorgestellt, mit dem sie Entwicklern empfehlen antizipative, individuelle Apps anzubieten und so neue Erkenntnisse zu erlangen:

  • Lernen, wer der einzelne Nutzer wirklich ist
  • Wissen, was in diesem Moment der Nutzer wirklich beabsichtigt
  • Funktionalität und Inhalte so zu morphen, dass sie diese Absicht bedienen
  • Optimierung für das Device oder den Kanal

Darüber, ob das Konzept der „predictive apps“ wirklich eine empfehlenswerte Strategie für App-Developer sein kann oder hier Analysten wieder einmal eine neue „Sau durch’s Dorf treiben“, sprachen wir mit Thorben Fasching, Director Marketing & User Experience der hmmh AG.

Thorben Fasching steuert seit 2007 den Bereich Marketing & User Experience bei hmmh. In dieser Funktion treibt er auch die Geschäftsentwicklung der Agentur voran und stellt in zahlreichen Vorträgen konkrete Erfahrungen aus der Agenturarbeit, Trends und Perspektiven zu den Themen Digital Commerce & Brand Communication im Web vor.

1. Das Konzept hört sich zunächst ganz eingängig, logisch und einfach an, so dass doch jeder Entwickler aufspringen und es sofort in die Tat umsetzen müsste. Ist es wirklich so simpel?

Im Prinzip ist das Konzept der »Predictive Apps« eine konsequente Weiterentwicklung und Ausformulierung des User-Centred-Design Ansatzes, in der der Nutzer eines Produktes (App) mit seinen Aufgaben, Zielen und Eigenschaften in den Mittelpunkt des Entwicklungsprozesses gestellt wird. Dieser Ansatz ist seit Jahren erprobt und bewährt, und wird durch den lernenden Anteil der »Predictive Apps« sogar noch auf die Zeit nach der Entwicklung ausgedehnt.

Bei hmmh verfolgen wir das Konzept schon seit längerer Zeit, z.B. mit der iPhone App von Air Berlin, die mittels Faktoren wie GPS und Reise-Vorlieben individuelle Vorschläge ermittelt.

Das Konzept steht und fällt allerdings mit der Quantität und der Qualität der zur Verfügung stehenden Daten (»Sensoren«). Stehen mir als App-Entwickler nur einige wenige Daten zur Verfügung, wird eine sinnvolle Auswertung schwierig und der Mehrwert für den Anwender fällt entsprechend gering aus.

Ebenso muss die Aggregation und Aufbereitung der Daten äußerst intelligent sein, da dem Nutzer im Zweifelsfall durch Filterung auch Daten vorenthalten werden, die möglicherweise relevant gewesen wären.

Dies zeigt die grundsätzliche Herausforderung des Predictive-Konzepts: Eine vollständige, allumfassende Betrachtung der Nutzer-Wünsche ist entweder nur durch eine Verknüpfung und Austausch vieler Apps untereinander oder vom Betriebssystem selber zu leisten.

2. Im „App Intent Detector (AID)“ hat Forrester Sensoren vorgesehen, die die Absicht des Nutzers identifizieren. Was für Sensoren könnten das sein?

Sensoren können zum einen natürlich die bekannten Hardware-Sensoren, wie GPS, Gyrosensor, Kompass oder Uhrzeit etc. sein. Aber auch andere Daten, wie E-Mail, Kalender oder Posts in Sozialen Netzwerken können zu Sensoren werden. Durch Auswertung dieser Daten, lassen sich heute schon Aussagen über Geschlecht, Alter und ethnische Herkunft treffen und somit z.B. ein passendes Restaurant oder Konzert empfehlen.

Google Now zeigt seit Kurzem sogar schon automatisch das Wetter an Orten an, die man wahrscheinlich besuchen wird oder zeigt vakante Wohnungen in der Umgebung, wenn man im Internet Suchbegriffe benutzt hat, die auf einen baldigen Umzug hindeuten.

3. Der „App Morpher (AM)“ soll dann Funktionalität und Inhalte so morphen, dass sie optimal für den jeweiligen Nutzer passen. Wie können Laien sich dieses „Morphing“ vorstellen?

Der »App Morpher« sorgt dafür, das nicht nur die richtige Information zur richtigen Zeit sondern zusätzlich mit der richtigen Funktion präsentiert wird. Dies könnte z.B. dafür sorgen, das die Information zu einem verspäteten Flug zusammen mit dem Hinweis auf einen Rabatt-Coupon in meinen Lieblings-Kaffee gezeigt würde.

4. Nicht erst seit den Abhöraktivitäten verschiedener Geheimdienste diskutieren wir insbesondere in Deutschland die Themen Datenschutz und Datensparsamkeit. Siehst Du hier einen Show Stopper für die „predictive apps“? Nur in Deutschland oder auch weltweit?

Gerade in Deutschland ist dies ein wichtiges Thema. Für viele Nutzer könnte die Vorstellung in der Hosentasche zahlreiche eifrige Datensammler mitzuführen, eher abschreckend sein. Daher muss zu jedem Zeitpunkt klar ersichtlich und transparent sein, aus welchen Quellen die genutzten Daten stammen, wo sie gespeichert werden und wem sie womöglich noch zur Verfügung gestellt werden.

5. Würdest Du Publishern raten, sich mit dem Konzept der „predictive Apps“ näher zu beschäftigen?

Das Konzept der Predictive Apps wird zukünftig eine große Rolle spielen. Dienste wie Cue, reQall, Donna, Tempo AI, MindMeld oder Evernote und natürlich Google Now zeigen diesen Trend. Auch für Publisher bietet sich die Chance, zum richtigen Zeitpunkt Content Kontext-sensitiv verfügbar zu machen, damit Mehrwert zu generieren und sich somit einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Vielen Dank für das Interview.

Über Heike Scholz 429 Artikel
Nach über zehn Jahren als Strategieberaterin für internationale Unternehmen gründete die Diplom-Kauffrau 2006 mobile zeitgeist und machte es zum führenden Online-Magazin über das Mobile Business im deutschsprachigen Raum. Heute ist sie ein anerkannter und geschätzter Speaker und gehört zu den Köpfen der deutschen Internet-Szene. Weiterhin ist sie Beiratsmitglied für die Studiengänge Angewandte Informatik und Mobile Computing an der Hoschschule Worms. Als Co-Founder von ZUKUNFT DES EINKAUFENS, begleitet sie die Digitale Transformation im stationären Einzelhandel. Sie berät und trainiert Unternehmen, die sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und fördert mit ihrem Engagement die Entwicklung verschiedener Branchen und Märkte.

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