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Interview: Digitaler Stress – Welche Rolle spielt dabei das Smartphone?

Digitaler Stress im Arbeitsalltag ist ein ernstzunehmendes Thema. Welche Rolle spielt dabei das Smartphone?Digitaler Stress im Arbeitsalltag ist ein ernstzunehmendes Thema. Welche Rolle spielt dabei das Smartphone?

Foto: Slack

Digitaler Stress betrifft uns mehr und mehr im Alltag. Nach einer Studie der Universität Augsburg, die von der Hans-Böckler-Stiftung des DGB gefördert wurde, nimmt die Digitalisierung am Arbeitsplatz Einfluss auf unsere Arbeitskraft. Die Untersuchung wurde gemeinsam mit der Fraunhofer Projektgruppe Wirtschaftsinformatik erstellt. 25- bis 34-Jährige empfinden demnach eine größere Belastung durch neue Technologien als dies bei älteren Kollegen der Fall ist. Und Frauen sollen zudem digital gestresster sein als Männer. Demnach leidet die Hälfte der Arbeitnehmer unter Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und allgemeiner Müdigkeit wegen Schlafstörungen.

Im Arbeitsalltag bestimmt auch das Smartphone mehr und mehr unser Leben. Doch welche Ausmaße nimmt der Digitaler Stress bei der Benutzung von Mobilgeräten während der Arbeitszeit ein? Die Redaktion von mobile zeitgeist befragte dazu den Projektleiter der Studie, Prof. Dr. Henner Gimpel, Wirtschaftsingenieur, sowie seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Julia Lanzl.

Digitalisierung stellt eine schwierige Aufgabe dar

mz: In Ihrer Studie „Digitaler Stress in Deutschland“ stellen Sie fest, dass Digitaler Stress bei Arbeitnehmern gesundheitliche Beschwerden wie Kopf-/Rückenschmerzen oder Müdigkeit hervorruft. Ist Digitaler Stress die Staublunge des 21. Jahrhundert?

Digitaler Stress ist insbesondere in den letzten Jahren durch die immer stärkere Digitalisierung in der Arbeitswelt aber auch im privaten Kontext zu einem wichtigen Thema geworden. Wie wir im Rahmen der Studie festgestellt haben, tritt Digitaler Stress in allen Branchen und Tätigkeitsarten auf und hängt mit einer Reihe negativer Auswirkungen wie gesundheitlicher Beschwerden oder einer verringerten Arbeitsleistung zusammen. Daher stellt die Digitalisierung aktuell eine schwierige Aufgabe dar, in der es gilt, die Chancen, welche sie bietet, zu nutzen, ohne gleichzeitig die dadurch entstehenden Herausforderungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu vernachlässigen.

Selbstreflektion des eigenen Nutzerverhaltens ist wichtig

mz: Woran erkenne ich, dass meine Symptome durch Stress- bzw. Digital-Stress induziert sind?

Das ist schwierig. Stress-Symptome und Symptome von digitalem Stress sind sehr vielfältig und vielschichtig und nur durch eine medizinische Einschätzung kann festgestellt werden, ob die Symptome durch (digitalen) Stress ausgelöst sein könnten oder ob eine andere Ursache zugrunde liegt. Dennoch sollte jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das eigene Nutzerverhalten in Bezug auf digitale Technologien regelmäßig reflektieren und insbesondere dann, wenn man das Gefühl hat, unter digitalem Stress zu stehen.

mz: Ist Digitaler Stress ein Fall für das betriebliche Gesundheitswesen? Ist der Gesundheitsbeauftragte zukünftig weniger Psychologe oder Pädagoge sondern mehr Technologie-Tutor?

Der Gesundheitsbeauftragte braucht nach wie vor umfangreiches (arbeits-)medizinisches und (arbeits-)/psychologisches Fachwissen. Dazu gehört auch Wissen um digitalen Stress und wie man damit umgehen kann. Unsere Erfahrung aus Gesprächen mit betrieblichen Gesundheitsmanagern zeigt, dass diese Facette ihres Aufgabenfeldes den meisten noch recht fremd ist. Und auch in der Forschung haben wir noch einiges zu tun, um Gesundheitsmanager hier zu unterstützen. Am Ende wird es ein immer wichtigerer Bestandteil ihrer Arbeit werden, Defizite im Umgang mit digitalen Technologien zu erkennen und Präventionsmaßnahmen zu ergreifen.

Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer müssen im digitalen Prozess eingebunden werden

mz: Sie stellen fest, dass Digitaler Stress das Potenzial hat, unsere berufliche Leistungsfähigkeit zu verringern? Das würde bedeuten, dass die Technologien, die eigentlich dazu gedacht sind, unseren Arbeitsalltag zu erleichtern, unser Produktivitätspotenzial reduzieren. Wie überzeugen Sie Arbeitgeber, dass es sich hierbei um ein ernstzunehmendes Problem handelt, während dieser (der Arbeitgeber) ihnen voller Begeisterung seine aktuellen Wachstumszahlen präsentiert?

Wir können den Arbeitgebern auf jeden Fall zustimmen, dass neue digitale Technologien hohe Potentiale und Chancen bieten. Diese nicht zu nutzen wäre fatal. Dennoch dürfen Arbeitgeber die Risiken nicht vergessen, die damit einhergehen. Insbesondere wenn sie sich Erwartungen zu Produktivität und Wachstum machen, dürfen sie nicht vergessen, dass Digitaler Stress mit einer verringerten Arbeitsleistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und über zunehmende Krankheiten potentiell mit vermehrten Fehltagen einhergehen kann. Dadurch können die vermeintlichen Produktivitätspotentiale wieder reduziert werden. Daher ist es beispielsweise wichtig, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Einführung neuer digitaler Technologien einzubinden, da dies eine Maßnahme ist, um die negativen Auswirkungen zu reduzieren.     

mz: In der zunehmenden „Verwischung der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben“ erkennen Sie großes Konfliktpotenzial. Ist es denn nicht gut, dass unsere Arbeitsgeräte immer mobiler, unsere Arbeitsplätze räumlich unabhängiger und unsere Arbeitszeiten flexibler werden?

Für manche ist es eine große Chance digitaler Technologien, dass wir mit Hilfe beispielsweise des Smartphones mobil und flexibel sind. Es gibt aber auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit dieser Flexibilität nicht umgehen können oder wollen und die sich klarer getrennte Lebensbereiche wünschen. Sie stehen vor einem großen Konflikt, wenn sie beispielsweise während des Familienausflugs einen Anruf aus der Arbeit erhalten, da sie nicht wissen, welcher Aufgabe sie sich gerade widmen sollen. Es ist daher wichtig, die Präferenzen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu berücksichtigen. 

„Digitaler Stress ist Stress, bei dem diese Anforderungen aus unserem Umgang mit digitalen Technologien und Medien entstehen“

mz: Ist die Screentime die neue Gleitzeit? Werde ich mich gegenüber meinem Arbeitgeber erklären müssen, wenn in meiner Freizeit mein Netflix-Konsum, die Bearbeitung privater Mails oder Whatsapp-Korrespondenz meine Arbeits-Screentime beeinträchtigen?

Freizeit bleibt ja immer noch freie Zeit und daher frei einteilbar, auch wenn zunehmend mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer potentiell jederzeit erreichbar sind. Auch im Arbeitskontext gibt es hohe datenschutzrechtliche Hürden, die Arbeitgeber daran hindern, die Arbeitsleistung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über die Aufzeichnung der Screentime zu überwachen.       

mz: Eine weitere Erkenntnis Ihrer Studie ist, dass der Digitalisierungsgrad des Arbeitsplatzes nicht alleine ausschlaggebend ist für das Level an Digitalem Stress und Stress dort auftritt, wo der Digitalisierungsgrad des Arbeitsplatzes nicht zu den Kompetenzen der Arbeitnehmer passt. Ist Digitaler Stress ein Ergebnis mangelnder Medienkompetenz?

Stress ist das Ergebnis eines Ungleichgewichts zwischen äußeren Anforderungen und den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, diese zu bewältigen. Digitaler Stress ist Stress, bei dem diese Anforderungen aus unserem Umgang mit digitalen Technologien und Medien entstehen. Insofern stimmt es, dass Digitaler Stress entsteht, wenn meine Kompetenzen und Ressourcen nicht ausreichen, den Anforderungen meines digitalen Arbeitsplatzes gerecht zu werden. Das Gleichgewicht kann hergestellt werden in dem Kompetenzen und Ressourcen gestärkt oder die Anforderungen angepasst werden.

In Bezug zu digitalen Stress sind individuelle Maßnahmen erforderlich

mz: Geht es um die Beseitigung mangelnder Medienkompetenz oder um die Beseitigung von mit den Menschen inkompatibler Technologie?

Beides ist der Fall. Generell sollten wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser im Umgang mit den ständig neuen Technologien schulen. Auf der anderen Seite kann auch schon bei der Entwicklung und Auswahl einer kompatiblen Technologie viel Konfliktpotential vermieden werden. Aber auch hier ist es wichtig, nicht pauschal über alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen der beiden Wege zu wählen. Vielmehr sind in Bezug auf digitalen Stress individuelle Maßnahmen notwendig.

mz: Bei den Geschlechterunterschieden stellen Sie fest, dass Frauen tendenziell an digitalisierteren Arbeitsplätzen arbeiten, sich als kompetenter ansehen und ein ein höheres Level an digitalem Stress als Männer haben. Neigen Frauen eher zur Überschätzung ihrer (digitalen) Fähigkeiten?

Das können wir natürlich in den Daten nicht sehen, da wir die Kompetenzen nicht objektiv gemessen haben, sondern diese lediglich auf Basis einer Selbsteinschätzung erfasst haben. Wie bereits beschrieben, kommt es bei der Entstehung von digitalem Stress auf ein Gleichgewicht von Kompetenzen und Anforderungen an. Wir gehen daher davon aus, dass Frauen aufgrund ihrer digitalisierteren Arbeitsplätze ein höheres Level an digitalem Stress haben.

Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen digitalem Stress und emotionaler Erschöpfung

mz: Es überrascht, dass Digitaler Stress bei 25- bis 34-jährigen Arbeitnehmern ausgeprägter ist als bei anderen Altersgruppen. Ist dies nicht dadurch erklärbar, dass diese Gruppe eher zu den Heavy-Usern in Sachen Screentime und digitaler und mobiler Mediennutzung zählt und entsprechend auch ein grundlegend höheres Stresspotenzial hat?

Ja, wie schon bei den Unterschieden zwischen den Geschlechtern muss man auch hier wieder die Kompetenz im Umgang mit digitalen Technologien sowie den Digitalisierungsgrad der Arbeitsplätze betrachten. Im Vergleich der jüngeren mit den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sehen wir, dass die Jüngeren sich als kompetenter einschätzen, aber auch an stärker digitalisierten Arbeitsplätzen arbeiten. Dadurch kommt es zu einem größeren Ungleichgewicht zwischen Kompetenzen und Anforderungen und somit zu größerem digitalen Stress als bei älteren Arbeitnehmern.     

mz: Haben wir in den kommenden Jahren in dieser Altersgruppe mit einer vermehrten Zunahme an digitalen Burnouts zu rechnen.

Wir sehen in unserer Studie einen klaren Zusammenhang zwischen digitalem Stress und emotionaler Erschöpfung, welche eine Dimension oder Anzeichen von Burnout darstellen. Das zeigt noch einmal die Wichtigkeit, sich mit dem Thema auseinander zu setzen und Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Da wir bei den jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein höheres Level an digitalem Stress sehen, ist hier natürlich das Risiko psychischer Erkrankungen höher. Dennoch sollten im Rahmen von Präventionsmaßnahmen alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berücksichtigt werden.

mz: Vielen Dank für das Interview.

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