Website-Icon mobile zeitgeist

Sonntagsreden zur Digitalisierung braucht kein Mensch!

BLLV Präsidentin im GesprächBLLV Präsidentin im Gespräch

Foto: pixabay | steveriot1

Alle sprechen über die Digitalisierung an deutschen Schulen und vor allem wie dies finanziert werden soll. Aber wie sieht es im Alltag aus? Tanja Goldstein führte ein Interview mit Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, über den Stand der Digitalisierung an bayerischen Schulen.

mobile zeitgeist: Frau Fleischmann, flächendeckender Ausbau von 5G ist in aller Munde, besseres Internet für Schulen eine bereits lange propagierte Forderung, wie ist die aktuelle Situation an bayerischen Schulen? Sind die Voraussetzungen für digitalisierte Bildung gegeben?

Simone Fleischmann: Die Voraussetzungen damit Lehrerinnen und Lehrer digitale Bildung in ihren Schulen bestmöglich umsetzen können, sind sehr vielfältig. Natürlich muss eine angemessene technische Ausstattung der Schulen gegeben sein und natürlich brauchen wir an den Schulen dringend und verlässlich eine professionelle Systembetreuung. Diese Rahmenbedingungen sind sehr unterschiedlich in Bayern, je nachdem welchen Landkreis und welche Kommune wir betrachten. Dabei sehen wir durchaus Fortschritte, wir sind aber immer noch nicht da wo wir sein sollten. Was wir aber vor allem brauchen, ist eine profunde Fortbildung und gute Ausbildung. Ohne Kompetenzen nutzt die tollste Ausstattung nichts. Wenn die Lehrerinnen und Lehrer gut ausgebildet sind im Einsatz digitaler Medien im Unterricht, dann kann das Lernen für die Kinder optimiert werden, dann kann das Lernen Spaß machen und der Lernerfolg groß sein. Die Lehrkräfte müssen in die Lage versetzt werden, digitale Bildung auch bestmöglich integrieren zu können. Dazu brauchen wir ein Gesamtkonzept, so dass die Ausbildung und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer ein am roten Faden entlang gelingt. Das ist bislang noch nicht der Fall

Digitale Bildung ist ein Kernelement

mobile zeitgeist: Die Rahmenbedingungen sind entscheidend, ebenso wie die nachhaltigen Konzepte in der Wissensvermittlung. Aber, wie digital muss Schule überhaupt sein?

Simone Fleischmann: Klar ist: Die Veränderungen im Zuge der Digitalisierung verändern das Leben nahezu aller Menschen. Der Einsatz modernster digitaler Medien in Privatleben und Beruf ist selbstverständlich geworden. Diese Veränderungen stellen auch für die Schulen eine große Herausforderung dar. Denn dadurch verändern sich schulisches Leben und Prozesse und Inhalte des Lernens. Klar ist aber auch: Im Zentrum von Schule und Unterricht stehen die Persönlichkeit der Lehrerinnen und Lehrer, die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern, das gemeinsame Lernen sowie die individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen. Die Digitalisierung und die digitale Bildung haben vor diesem Hintergrund auf zwei Arten Relevanz für die Schulen: Erstens geht es darum, die Kinder und Jugendlichen fit zu machen für die Zukunft und die Teilhabe an einer Gesellschaft, in der digitale Medien zur Normalität geworden sind. Digitale Bildung ist somit ein Kernelement, das alle Kinder benötigen und das für zukünftige Berufs- und Lebenschancen steht. Es geht zweitens darum, dass digitale Medien Hilfsmittel und Werkzeuge für Lehrkräfte sein können, durch die sie die heterogene Schülerschaft individuell und bestmöglich fördern können. Sie sind demnach auch ein Weg zur Umsetzung von mehr Bildungsgerechtigkeit. Digitale Bildung dient in diesem Sinne guter Bildung. Hierfür benötigen die Schulen und die Lehrerinnen und Lehrer entsprechende Rahmenbedingungen, Ressourcen und Ausstattungen, ohne die das qualitätsvolle Arbeiten, Lehren und Lernen mit digitalen Medien nicht möglich ist.

mobile zeitgeist: Wie wird aktuell eine Art Bedarfsanalyse oder Ausarbeitung der Requirements abgebildet? Gibt es bereits eine Erkenntnis wie allgemeine Anforderungen im Hinblick auf „Digitale Schule“ erfasst werden können?

Simone Fleischmann: Die Medienkonzepte die gerade noch an den Schulen entstehen sind in dieser Form nicht einheitlich und das sollten sie auch nicht sein. Denn jede Einrichtung braucht andere Mittel oder Geräte um bestmöglich auf die Situation an der Schule eingehen zu können. Es kristallisiert sich aber heraus, dass eine solide Netzverbindung bzw. ein stabiles WLAN, flexible Klassensätze an Endgeräten anstatt fester PC-Räume und insbesondere Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer wesentlicher Bestandteil vieler Medienkonzepte sind.

mobile zeitgeist: Ein großes Problem ist das Auseinanderlaufen der Zuständigkeiten zwischen der benötigten Hardware und einem entsprechenden Bildungsplan. Die Technik-Verantwortung liegt beim Schulträger, dem Land obliegt die inhaltliche Zuständigkeit, die Schule bzw. Lehrer/innen zeichnen für die pädagogisch-didaktische Umsetzung verantwortlich. (Quelle: https://www.digitalisierung-bildung.de/2018/12/07/digitalisierung-in-schule-und-unterricht-ein-zwischenfazit/) Es muss daher immer auf drei Ebenen gearbeitet werden, die häufig erst am Ende mit einander verbunden werden. Und so kann es sein, dass eine Schule entweder in der Beschaffung, der Konzeption oder in der Ausbildung der Lehrer Defizite hat und somit ein weiterer Entwicklungsschritt verzögert wird. Welche Möglichkeiten gäbe es hier, um die Entwicklung zu homogenisieren?

Simone Fleischmann: Alles zu homogenisieren, zu parallelisieren und zu vereinheitlichen wird nicht klappen und es ist mehr als fraglich ob das wünschenswert ist. Was wir brauchen ist eine gute Kooperation zwischen den einzelnen Ebenen, da hakt es auch im Jahr 2019 noch. Gleichzeitig benötigen die Schulen vor Ort endlich konkrete Aussagen, auf die sie sich verlassen können. Das Hin und Her in der Diskussion, z.B. um den Digitalpakt, bringt keinen weiter. Wir brauchen verbindliche Zusagen und konkrete Maßnahmen, damit die Schulen und die Lehrerinnen und Lehrer sich weiter auf den Weg machen und auch konkret umsetzen können was die Digitalisierung an Chancen bietet. Ein Rumgeeiere zwischen Bund und Ländern brauchen wir nicht länger. Sonntagsreden zur digitalen Bildung helfen nicht – die Realität an den Schulen muss sich verändern können. Die Technik an den Schulen, der Support im Umsetzungsprozess und die Kompetenzen der Kolleginnen und Kollegen: das  sind die drei Säulen, die es gilt jetzt anzugehen. Alles andere bringt uns Lehrerinnen und Lehrer in der täglichen schulischen Praxis wieder nichts! Die Zeit läuft. Und wir wollen nicht abgehängt werden – wir wollen modernen Unterricht vorhalten können!

Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer in Schulen sind Teil des Medienkonzepts

mobile zeitgeist: Ich erinnere mich an die Zeit, als das iPad 2 gerade in die Verbreitung kam und in der Industrie erkannt wurde, dass diese Art von Hardware gerade für Vertrieb und Kundenberatung relevant werden könnte. Es dauerte noch ca. 2 Jahre, bis man der Überzeugung war, dass dieses Gerät in Zukunft von Relevanz sein würde. Diese Erkenntnis verursachte bei zahlreichen Unternehmen eine regelrechte Anschaffungsflut mit stattlichen Investitionen. Allerdings war man sich nicht im Klaren darüber, welche Anwendungen auf diesem Gerät laufen und wie z.B. der Vertrieb mit diesen veränderten Bedingungen arbeiten sollte. Dies nahm weitere Jahre in Anspruch. Ein ähnliches Phänomen lässt sich aktuell in der Bildungslandschaft beobachten. Internet und Tablets für alle, sind die am lautesten propagierten Forderungen. Entsprechend nachhaltige Konzepte kommen deutliche leiser daher. Welche Entwicklungen in diesem Bereich verdienen hier mehr Gehör und wo lassen sie sich finden?

Simone Fleischmann: Ich erlebe es nicht so, dass nur nach Internet und Tablets geschrieben wird und das wäre auch die falsche und sehr vereinfachte Richtung. Die braucht es natürlich auch an vielen Schulen, aber nicht nur. Und in den Medienkonzepten, die die Schulen in Bayern derzeit entwerfen, steckt mehr drin als nur digitale Hardware. Hier gehört die Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer der Schule genauso dazu, wie digitale Lernprogramme und Unterrichtsmaterialien die der Lehrkraft beim Unterricht helfen können. Wenn diese Medienkonzepte immanenter Teil des Schulentwicklungsprozesses sind, dann gelingt auch der Prozess der Digitalisierung nachhaltig. In Bayern gibt es viele Schulen, hochengagierte Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen, die dafür sorgen, dass tolle Gesamtkonzepte, am roten Faden entlang entstehen.

Es gilt, digitale Lebenswelten zu thematisieren, nicht vorschnell zu urteilen oder zu verteufeln

mobile zeitgeist: Dauer-Zocken, permanentes Daddeln und exzessiver Social Media Konsum sind für viele die alptraumhafte Verzerrung von weiterer Digitalisierung. Daher ist es unabdingbar, in diesen Bereich der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrer zu investieren, um die Kluft zwischen dem eigenen digitalen Know-How und der quasi fast natürlichen Expertise der Schülerinnen und Schüler zu mindern. Sehen Sie eine Chance, dass dies in den jeweiligen Bildungseinrichtungen von innen heraus geschehen kann oder benötigt es dazu vielleicht auch die Unterstützung von Spezialisten aus der IT?

Simone Fleischmann: Natürlich ist die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen heute stark geprägt von digitalen Medien. Da Schule auch immer ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, muss sie diese Lebenswelten thematisieren ohne vorschnell zu verurteilen oder zu verteufeln. Wichtig in diesem Zusammenhang ist insbesondere, dass die Schülerinnen und Schüler reflektiert, verantwortungsbewusst und nachhaltig den Umgang mit digitalen Medien lernen und auch leben können. Die Schule hat, wie auch in anderen Feldern, die Aufgabe, die Kinder fit zu machen für die Zukunft. Und diese Zukunft wird geprägt sein von der Digitalisierung in vielen Bereichen. Das heißt die Lehrerinnen und Lehrer müssen natürlich gut ausgebildet und fortgebildet werden. Aber: sie müssen dafür auch die notwendige Zeit zur Verfügung gestellt bekommen. Denn eines ist klar, es geht nicht immer alles on Top! IT-Spezialisten können hier als Unterstützung helfen. Für den Unterricht und die pädagogische Umsetzung liegt die Verantwortung allerdings bei der Lehrkraft.

mobile zeitgeist: Die Digitalisierung in der Schule ist ein Punkt Ihrer „Big 5“. Gibt es in diesem Bereich für Sie auch internationale Vorbilder oder Best Practices?

Simone Fleischmann: Viele Länder haben sich im Bereich Digitalisierung und Schule schon länger auf einen nachhaltigen Weg gemacht als das in Deutschland der Fall ist. Dabei gibt es Beispiele die sehr interessant sind, aber auch welche die wir in Schule und Bildung eher vermeiden sollten.

In den Niederlanden beispielsweise wurde der Prozess der Digitalisierung und Schule immer auch kritisch begleitet durch die Frage: wo sind digitale Medien im Unterricht tatsächlich sinnvoll und wo sind sie hilfreich für das Lernen der Schülerinnen und Schüler. Hier haben vor allem die Schulen selbst die Entwicklung vorangetrieben. Das ist möglich, weil dort den Schulen eine große Autonomie besitzen und dadurch entscheiden können, welche Geräte angeschafft werden oder welche Konzepte der Digitalisierung auf die einzelne Schule passen. Konsequenz: Die Akzeptanz digitaler Medien im Unterricht ist in den Niederlanden sehr hoch, bei allen Akteuren. Und sehr viele Lehrkräfte nutzen digitale Medien als Hilfsmittel.

In Australien werden Lerninseln statt Klassenzimmer geschaffen

In Finnland werden Reformen im schulischen Bereich der Digitalisierung sehr entspannt aufgenommen. Hier sind das Vertrauen und der Mut der Lehrkräfte und Schulen hoch, was auch an oftmals guten Rahmenbedingungen liegt. In Australien gibt es gute digitale Ansätze die die Architektonik einer Schule mit in den Blick nehmen. Es werden Lerninseln statt Klassenzimmer und eine flexible Raumgestaltung im Zuge des Wandels geschaffen. Dänemark war ein mutiger und experimentierfreudiger Vorreiter, was den Einsatz von digitaler Medien im Schulunterricht angeht. Hier wurde früh erkannt: Wer auf Digitalisierung setzt, muss auch die Rahmenbedingungen für einen komplikationsfreien, digital unterstützten Unterricht schaffen. In Kanada sollen vor allem auch benachteiligte Kinder und Jugendliche mit Hilfe digitaler Mittel gefördert und unterstützt werden.

Es gibt also viele gute Beispiele auf die wir schauen können. Allerdings bin ich der Meinung, dass wir nicht einfach kopieren sollten, denn das wird nicht gelingen. Wir brauchen passgenau Lösungen für unsere Schulen vor Ort. Nur so werden wir es schaffen, dass die Schulen, die Kinder und die Lehrerinnen und Lehrer davon profitieren.

mobile zeitgeist: Was sind Ihre Hoffnungen und Wünsche für die kommende Entwicklung?

Simone Fleischmann: Mein Wunsch ist, dass endlich Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Lehrerinnen und Lehrer digitale Bildung in ihren Schulen bestmöglich umsetzen können. Es braucht jetzt konkrete und verlässliche Zusagen und konkrete Maßnahmen. Das politische Rumgeeiere muss aufhören! Davon würden vor allem diejenigen profitieren um die es hier letztendlich geht: die Kinder und Jugendlichen.

mobile zeitgeist: Herzlichen Dank für diesen Austausch!

Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands.

 

Die mobile Version verlassen