Apple hat letzte Woche das eigene Mobile Payment Verfahren ApplePay vorgestellt, über das viel spekuliert wurde. Die Reaktionen von Zahlungsanbietern am Abend der Apple-Keynote und den folgenden Tagen waren identisch zu den Reaktionen von Parteien an einem wichtigen Wahlabend. Unabhängig vom Ausgang der Wahl und den eigenen prozentualen Verlusten bzw. Gewinnen an Wählerstimmen: Alle sehen sich als große Gewinner.
Aber sind alle Gewinner? Wirklich? Sollte mit Apple das 30. mir bekannte Wallet-Verfahren nach Deutschland kommen, wird spätestens dann eine überfällige, sehr schmerzhafte und schnelle Konsolidierung angestoßen, an deren Ende maximal eine Handvoll Anbieter übrig bleibt.
Interessante strategische Ansätze von ApplePay
Es wurde in den letzten Tagen bereits viel über ApplePay geschrieben, was hier nicht ausführlich wiederholt werden soll. Strategisch interessant im Kontext sind m.E. jedoch folgende Punkte von ApplePay:
- Technologieagnostisch: Auch wenn viele NFC-Anhänger den Start von ApplePay als den Durchbruch für NFC feiern, hat Apple faktisch ein technologieagnostisches Verfahren entwickelt. NFC ist bei ApplePay aktuell nur ein möglicher Übertragungskanal neben dem IP/Web-Kanal für Online-Transaktionen. Wie es heute für den Nutzer faktisch irrelevant ist ob er über 3G, 4G oder dem WiFi-Protokoll mit seinem iPhone im Netz surft, wird dies in weiteren Iterationen/Evolutionen von ApplePay vermutlich auch für das Paymentprotokoll gelten.
- Start mit der Pflicht – Kür kommt später: Apple ist dafür bekannt Lösungen in iterativen Schritten an den Markt zu bringen. Die Pflicht war NFC und Kreditkarte, um schnell in den USA zu skalieren. Richtig spannend wird ApplePay daher vermutlich erst in weiteren Ausprägungen wenn „richtige“ Innovationen kommen wie Integration der eigenen Apple-Loyalitätsanwendung Passbook oder Bluetooth Low Energy/Beacon-basiertes Payment.
- Start mit Kassen-/Terminal-zentriertem Zahlmodell: Strategisch spannend finde ich die Tatsache, dass Apple zuerst den Ansatz des klassischen Kartenterminal- und kassenzentrierten Zahlmodells im stationären Handel wählte. Gerade von Apple, die in ihren eigenen Retailstores als erstes die zentrale Kasse mit Zahlungsterminal und somit Schlange abgeschafft haben, ist daher noch viel zu erwarten wenn es um innovative Zahlmodelle abseits der klassischen Kassen & Terminalinfrastruktur und somit abseits von NFC geht.
Nur die Ankündigung von ApplePay forciert Konsolidierung im Wallet-Bereich
Bereits die Ankündigung von ApplePay forciert die Konsolidierung der bestehenden Anbieter in Deutschland, da man angesichts der Apple Produktlösung und Marktmacht viele Fragezeichen hinter andere Verfahren setzen muss. Neben einem guten Produkt wird ferner die Anzahl von registrierten und aktiven Kunden beim Zahlverfahren entscheidend werden. Hier eine Analyse zur Überlebensfähigkeit und Zukunft der Anbieter nach Produktkategorie:
QR- und Barcode-basierte Verfahren & Anbieter sind überholt
NFC stand lange für „not for commerce“ aufgrund der sehr schleppenden Ausstattung der Zahlungsterminals seit Einführung vor fast 10 Jahren, der bislang nur homöopathischen Nutzung durch NFC-Karten bei den Pilothändlern und den wenig überzeugenden Pilotprodukten von mobilen NFC-Wallets. Aus diesem Grund haben einige Anbieter auf QR- und Barcodes als Brückentechnologie gesetzt. Mit dem Markteintritt von Apple wird NFC als de-facto Zahlstandard am Kassenterminal nun vermutlich doch noch der Durchbruch gelingen.
Trotz der bislang schleppenden NFC-Verbreitung konnte sich auch kein QR-basiertes Mobile Payment am Markt bisher durchsetzen – ganz profan gemessen an aktiven Kunden und nennenswerten Transaktionsvolumina. Selbst PayPal mit einer etablierten Nutzerbasis von über 15 Mio aktiven Kunden in Deutschland konnte beim QR-Shopping-Test in Oldenburg keinen Durchbruch erzielen.
Vergleicht man den mehrstufigen und aufwändigen QR-Scan- und Zahlprozess mit dem extrem einfachen, schnellen ApplePay-Prozess wird kaum ein Kunde noch für das deutlich unbequemere QR-Scannen an der Kasse zu begeistern sein.
Anbieter wie Yapital, SQWallet, Paymey, Paij und co werden wohl ihr QR-basiertes Produktkonzept komplett überdenken müssen oder sie werden aus dem Markt verdrängt bzw. bleiben sehr kleine Nischenanbieter wie z.B. bei QR-Codes auf Papierrechnungen oder Out-Of-Home Werbung.
NFC-basierte Verfahren der Mobilfunkanbieter
Am Tag der Vorstellung des iPhones im Jahr 2007 zeigte Steve Jobs Bilder der damals verfügbaren Smartphones von Blackberry, Nokia und co. Der Unterschied in der Nutzung, Aussehen und Coolness zum iPhone konnte nicht größer sein. Gleicher Kontrast ergibt sich bei einem Vergleich der NFC-Walletprodukte von Mobilfunkanbietern mit ApplePay. Größter Verlierer von ApplePay sind daher m. E. die Mobilfunkanbieter. Sie haben zwar mit NFC schon auf die richtige Technologie gesetzt, aber die Einfachheit der Prozesse dabei irgendwie aus dem Auge verloren.
Anders als die Produkte der Mobilfunkanbieter hat Apple den Prozess auf das Wesentliche reduziert und noch deutlich verbessert: Es wird auf die bestehenden Kundendaten zurückgegriffen, anstatt eine neue komplexe Registrierung des Nutzers zu erzwingen. Der Zahlprozess im Vergleich zu einer physischen Karte ist bei höherer Transaktionssicherheit nachhaltig beschleunigt worden und dabei wurde noch eine „Coolness“ mit eingebaut.
Mit einem Handschlag, der so schnell ging wie eine NFC-Transaktion dauert, hat Apple die Mobilfunkanbieter ferner aus dem relevanten Mobile-Payment-Ökosystem verjagt. Es ist sehr fraglich, ob sie je noch die Secure-Element Infrastruktur auf ihren Sim-Karten monetarisieren können, da sie nach der Einführung von ApplePay kaum noch Mehrwerte stiften können. Im Gegenteil, anders als Apple mit 800 Millionen registrierten Karten, Händlern und Partnerschaften mit den führenden kartenausgebenden Banken, konnten die Mobilfunkanbieter bislang nennenswert keine Banken, Nutzer und Händler für ihre Verfahren gewinnen. Die oft unterschätze Kundenakquise wird jetzt noch schwieriger. Warum sollte ein Kunde sich für das NFC-Verfahren seines Mobilfunkanbieters noch registrieren, wenn er einfach so mit seinem iPhone und der bereits hinterlegen iTunes-Zahloption zusätzlich sofort und bequemer im mobilen Web und stationär zahlen kann?
PayPal, Amazon und Google
Hier bleibt die Entwicklung sehr spannend. Die Ohrfeige aus Cupertino nach Mountainview zu Google konnte man noch in Europa hören! Google ist mit seinem identischen Ansatz „Google Wallet“ in mehreren Anläufen krachend gescheitert. Google wird sich aus der Ohrfeige vermutlich nichts machen, das Produkt in Android mehr oder weniger nachbauen und im Windschatten von Apple einführen.
Gleiches ist von PayPal zu erwarten. Auf den ersten Blick scheint Apple PayPal direkt im mobilen Web anzugreifen und eine Nasenlänge im stationären Handel vor Paypal zu sein. Anders als eine Kartentransaktion ist PayPal jedoch Cloud-basiert und benötigt kein Secure-Element auf dem Telefon, sondern nur Zugriff auf die NFC- und Fingerprint Schnittstellen des Betriebssystems. Stationär kann PayPal seine bereits etablierten Integrationen in POS-Kassensysteme nutzen und unter Nutzung der NFC-Technologie und der Touch-ID 1:1 das gleiche Produkt anbieten – nur auf Basis seiner Millionen aktiven Kundenaccounts und Technologie. PayPal hat NFC bereits 2010/2011 für P2P-Zahlungen in Android unterstützt . Eine Integration beim Händler vorausgesetzt, macht es keinen großen Unterschied ob der Zahlungsempfänger ein NFC Telefon oder ein NFC-Terminal ist. Analog gilt dies für das 1-Click Touch-Payment im mobilen Web, auch hier kann Paypal vermutlich nachziehen.
Amazon hat neben einem eigenen etablierten Ökosystem aus Millionen Kunden und Zahlungsdaten zusätzlich mobile Endgeräte im Markt eingeführt. Im Zahlungsverkehr außerhalb der eigenen Plattformen spielt Amazon trotz eigener Produkte in USA und Europa bislang nur eine untergeordnete Rolle. Theoretisch könnte Amazon neben Apple, Google und Paypal als viertes großes US-amerikanisches dotcom-Unternehmen aktiv sein.
Für uns Kunden und vor allem für den Handel sorgt all dies jedoch für eine gute und gesunde Belebung des Wettbewerbs! Vor allem PayPal hat endlich online einen ernsten Wettbewerber! Schaut man sich die Historie von PayPal an, führte direkter Wettbewerb plötzlich zu großer innerer Kraft und Innovationen so z.B. in der Frühphase von Paypal als eBay erst einen eigenen Paypal Clone entwickelte oder später als Google mit dem Checkout-Verfahren Paypal direkt herausforderte.
Kartenorganisationen und Kreditwirtschaft
Apple teilte bei der Vorstellung des Payment-Verfahrens weiter Ohrfeigen aus: Kartentransaktionen wurden von Tim Cook als antiquiert bezeichnet und die beteiligten Abwickler hätten nur eigene kommerzielle Interessen, statt den Kunden ins Zentrum des Produktes zu stellen. Kaum war diese Ohrfeige verhallt, hörte man die eben noch vorgeführten Kartenorganisationen jedoch vor Freude noch am gleichen Abend in Pressemitteilungen jubeln.
Etwas Besseres als ApplePay konnte Kartenorganisationen und Kartenherausgebern nicht passieren. Sie stehen wieder im Zentrum einer Transaktion. Apple erlaubt über die eigenen Standards von MasterCard, Visa und Amex eine für den Kunden einfache und bequeme Zahlung bei gleichzeitig höherer Transaktionssicherheit und Ertragspotential. Allesamt wichtige Punkte an denen Kartenorganisationen und kartenausgebende Banken mindestens seit der Gründung von PayPal vor 15 Jahren immer wieder scheiterten. Ein Blick auf die Musikindustrie, denen Apple die Digitalisierung auch ermöglichte, sollte jedoch für Kartenorganisationen und Kreditwirtschaft eine Warnung sein.
Ob MasterCard und VISA ihre, mit Apple Pay mehr oder weniger konkurrierenden Wallet-Produkte, v.me und MasterPass unter diesen Umständen weiter verfolgen, ist offen. VISA selbst ist sich schon nicht mehr einig. Während Visa Inc sich bereits international vom v.me-Walllet verabschiedet hat, versucht sich Visa Europa weiter am Produkt. Ironischerweise versucht also ein rein internationaler Zahlungsanbieter nun mit einem regionalen Produkt das grenzenlose internationale Internet zu erobern.
Sollte Apple zeitnah die ApplePay Expansion nach Europa gelingen, erwarte ich, dass Masterpass und v.me recht bald wieder vom Markt verschwinden werden mangels Nachfrage bei Handel und Endkunden. Gleiches gilt für die gerüchteweise in Entwicklung befindlichen Wallet-Produkte der deutschen Kreditwirtschaft. Auch hier hilft ein Blick auf die Musikindustrie, deren eigene Digitalprojekte auch nach der iTunes-Hilfe durch Apple alle weiter scheiterten und Innovationen wie Streaming-Angebote weiter von StartUps getrieben wurden statt der Musikindustrie selbst.
Die vielen kleinen StartUps
Hierzu habe ich ja bereits in einem früheren Artikel bei Mobile Zeitgeist eine ausführliche Analyse erstellt. Mit Apple hat sich die damals aufgezeigte Situation eher verschärft. Ich erwarte, dass sich die jeweiligen nächsten Finanzierungsrunden der StartUps sehr schwierig gestaltet werden und etliche Anbieter gezwungen sind den Markt zu verlassen, da sie keine nennenswerten Endkunden und Händlerkundenbeziehungen aufbauen konnten.
Fazit
Apple hat mit seinem Produkt einmal wieder ein klares Ausrufezeichen gesetzt und gute Chancen ein weiteres Mal eine Branche zu revolutionieren – dieses Mal den Zahlungsverkehr. Die überfällige Konsolidierung im Wallet-Bereich wird durch Apple nur beschleunigt. Gewinner wird erst einmal der Kunde und der Handel sein, da nach der Konsolidierung und Weiterentwicklung von ApplePay, der Wettbewerb im Zahlungsverkehr intensiver und die Produkte attraktiver werden.
Aus Anbietersicht hat Apple große Chancen schnell signifikante Marktanteile zu gewinnen. Google, PayPal und Amazon haben dank ihrer bestehenden Größe, Kunden- und Händlerbeziehungen die Chance um den Kuchen zu kämpfen. StartUps und Anbieter ohne nennenswerte etablierte Kundenbeziehungen im Zahlungsverkehr werden vermutlich eher früher als später wieder verschwinden.
Kartenorganisationen und Kreditwirtschaft bleibt weiter nur die Rolle von den großen Intermediären als reiner Backend-Abwickler einer Transaktion degradiert zu werden, auch bei Apple – so süß die bittere Pille im Moment auch schmeckt.
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