Kameras als Opfer des Smartphone Booms

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Heute wird sehr viel als „disruptiv“ bezeichnet. Es klingt nach hip, super-innovativ, weltverändernd und überhaupt einfach nur ganz toll. Doch nicht überall wo disruptiv drauf steht, ist auch disruptiv drin. Vieles stellt sich sehr schnell als reiner (Medien-) Hype heraus und verschwindet heimlich, still und leise wieder in den Tiefen des Subraums.

Das Smartphone hingegen kann zurecht für den Begriff disruptiv stehen, spätestens seit 2007 mit dem Launch des iPhone. Doch auch hier ist es nicht nur das Gerät, also die Hardware an sich, sondern auch die veränderte Benutzerführung und das mit diesen Geräten einsetzende veränderte Nutzerverhalten.

Stürmische Zeiten für Kameras

Wie disruptiv dies in den vergangenen Jahren war, lässt sich sehr gut am Thema Fotografie zeigen. Hätte man vor ein paar Jahren Nutzer gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, mit ihren Telefonen Fotos machen zu können, hätten die meisten wohl gelacht. Das Geschäft mit analogen und digitalen Kameras boomte, alle Beteiligten an der Wertschöpfungskette vom kleinen Fotoladen über die Fotolabore bis hin zu den Kameraherstellern verdienten prächtig. Die Welt war in Ordnung.

Der erste Weckruf war dann die Digitalfotografie, durch die der gesamte analoge Gerätemarkt weitgehend verschwand. 2005 war für die analogen Kameras endgültig Schluss.

Zeitgleich explodierte der Absatz der digitalen Kompaktkameras, der 2010 seinen Höhepunkt erreichte. Seitdem geht es auch hier geradewegs bergab. Von diesem Abwärtstrend blieben bisher die digitalen Spiegelreflex- und Mirrorless-Kameras weitestgehend verschont. Dies erklärt sich in soweit, da dies hochpreisige Nischenprodukte für den professionellen und semi-professionellen Einsatz sind. Hier werden auf absehbare Zeit auch die Smartphones nicht eindringen können.

Sofortbildkameras wieder beliebt

Noch einmal zurück zu den analogen Kameras. In einem Bereich erlebt die analoge Fotografie tatsächlich zurzeit ein Revival. Sofortbildkameras sind insbesondere bei sehr jungen Menschen, den Digital Natives, ausgesprochen beliebt. Fuji zum Beispiel liefert hier mit Instax ein ganzes Ecosystem für eine derzeit wachsende Community.

Ob dieser Trend ausreichend groß und anhaltend sein wird, kann heute noch nicht beurteilt werden. Es bewahrheitet sich jedoch wieder einmal, dass jeder Trend auch (mindestens) einen Gegentrend hat.

Smartphone kills Compact Camera

Die massiv zurückgehenden Verkäufe bei den Kompaktkameras sind ziemlich offensichtlich auf die zunehmende Verbreitung von Smartphones zurück zu führen. Doch die Experten sind sich hier nicht wirklich einig, ob dies wirklich so sei.

Heino Hilbig, ehemaliger Manager bei Olympus, führt in einem Interview den Rückgang auf die Etablierung des iPhone im Jahr 2009 zurück, beklagt jedoch die mangelhafte Studienlage. Er bestreitet aber dann die Korrelation zwischen der Verbreitung von Smartphones und dem Marktzusammenbruch bei den Kameras.

Ich halte das für eine akademische Spielerei. Denn er gibt wiederum zu, dass Einfachheit der Bedienung und ein verändertes Nutzerverhalten sehr wohl einen Einfluss auf die Marktentwicklungen haben. Dies ist aber ohne die Smartphones nicht denkbar und somit ändert es nichts am finalen Ergebnis, dass Teile der Kameramärkte von Smartphones zerstört wurden. Ergo: Disruption.

Womit Heino Hilbig absolut recht hat ist, dass die Fotobranche selbst nicht die Antworten auf die Probleme in der Hardware suchen sollte sondern im veränderten Verhalten der Menschen. Hierzu weiter unten noch mehr.

Alle fotografieren mit dem Smartphone

Wie hat sich denn nun das Nutzerverhalten verändert? Zunächst, jeder fotografiert mit seinem Smartphone. Von den 44 Millionen deutschen Smartphonebesitzern sind es 98 Prozent. Da können wir bei den letzten beiden Prozentpunkten durchaus großzügig sein und von „jedem“ sprechen.

2015 werden 900 Milliarden, das ist eine Neun mit elf Nullen, Fotos ins Netz hoch geladen, 65 Prozent der Deutschen speichen ihre Fotos bereits online.

92 Prozent der 18 bis 24-Jährigen und 75 Prozent der 25 bis 34-Jährigen machen Selfies, um Erinnerungen fest zu halten. Doch nur 31 Prozent finden die Selfies von anderen interessant, 57 Prozent halten sie sogar für nervig.

Größe entscheidet

Smartphones und die ständige Verfügbarkeit des Internets haben in sehr kurzer Zeit Fotoplattformen sehr groß werden lassen. Facebook als Urgestein führt die Hitliste in Bezug auf die täglich hoch geladenen Fotos nicht einmal an, trotz seiner 1,4 Milliarden Nutzer. Ganz vorn liegen hier WhatsApp (ebenfalls Facebook) und Snapchat (gegründet 2011) mit jeweils über 700 Millionen Bildern – jeden Tag.

Die Grafik haben wir auch in unseren Mobile Facts auf Pinterest hinterlegt.

Video Live Streaming

Twitter war in Sachen Fotos von Beginn an nicht dabei und hat heute auch keine Chance mehr, eine nennenswerte Rolle zu spielen. Doch erlebt Twitter gerade durch das Live Video Streaming von Periscope und Meerkat nicht geahnten Schwung. Ob das Instant-Bewegtbild genau so erfolgreich sein wird, wie das statische Foto auf Snapchat werden die kommenden Monate zeigen.

Ausblick

Die Zukunft der Fotografie im Zeitalter von Smartphones, Wearables und immer besser werdender Hardware wird unruhig sein. Vielleicht entwickeln die Hersteller hochwertiger Kameras ja neue Ideen und bieten zum Beispiel zukünftig einen Leih-Service an. Ich würde schon eine solche Kamera mit in den Urlaub nehmen. Für den Alltag brauche ich sie nicht, daher kaufe ich mir keine. Für drei bis vier Wochen im Jahr ein aktuelles Modell leihweise zu nutzen, wäre jedoch denkbar.

Für Anbieter in diesem Markt gilt es, das produktzentrische Denken aufzugeben und endlich nutzerzentrisch zu denken. Wer nicht allein vom Verkauf von Hardware leben kann, muss sich mit relevanten Services positionieren. Hierbei spielt es keine Rolle, ob diese Services heute schon zu den Kernkompetenzen gehören, sondern ob sie für morgen ein tragfähiges Geschäftsmodell versprechen. Und vielleicht sind diese dann ja für andere disruptiv.

Wer noch mehr Daten und Hintergründe zu diesem Thema haben möchte, dem empfehle ich meine Folien. Auf Slideshare und auf meinen Webseiten sind noch weitere Foliensätze meiner Vorträge.

Über Heike Scholz 429 Artikel
Nach über zehn Jahren als Strategieberaterin für internationale Unternehmen gründete die Diplom-Kauffrau 2006 mobile zeitgeist und machte es zum führenden Online-Magazin über das Mobile Business im deutschsprachigen Raum. Heute ist sie ein anerkannter und geschätzter Speaker und gehört zu den Köpfen der deutschen Internet-Szene. Weiterhin ist sie Beiratsmitglied für die Studiengänge Angewandte Informatik und Mobile Computing an der Hoschschule Worms. Als Co-Founder von ZUKUNFT DES EINKAUFENS, begleitet sie die Digitale Transformation im stationären Einzelhandel. Sie berät und trainiert Unternehmen, die sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und fördert mit ihrem Engagement die Entwicklung verschiedener Branchen und Märkte.

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  1. geekchicks.de » geekchicks am 03.06.2015 - wir aggregieren die weibliche seite der blogosphäre

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