Karen McGrane: „Viele Unternehmen haben den großen Richtungswechsel im Kundenverhalten noch immer nicht verstanden.“

Responsive Web Design

Morgen geht sie los, die Magnolia Conference in Basel. Eine der Vortragenden wird Karen McGrane sein, die ich vor fast fünf Jahren auf der MobXCon in Berlin kennen lernen durfte. Inzwischen hat Karen mit ihren Forderungen für besseren Inhalt im Internet viele Zuhörer und Leser erreicht. Am Mittwoch wird sie den Nutzern und Entwicklern des CMS Magnolia ihre Thesen im Vortrag „Adaptive Content, Context, and Controversy“ näher bringen.

Vorab konnten wir Karen und Rasmus Skjoldan, dem führenden Produkt-Manager von Magnolia, ein paar Fragen stellen.

Liebe Karen, Du kämpfst seit Jahren für besseren Inhalt. Zunächst primär inhaltlich, später zunehmend strategischer und technischer. Wie kamst Du zu dem Thema? Was waren die Schmerzpunkte die zu Deinem Paradigmenwechsel geführt haben?

Karen: Der größere Schritt für mich war, meinen Fokus statt auf User Experience und Interaction Design mehr auf Content Processes zu richten. Damit meine ich, dass ich mich sehr wohl noch immer als “UX-ler” verstehe, wenngleich ich mich jetzt auch mehr mit den internen und back-end Problemen beschäftige. (Und, natürlich, mit Inhalten an sich.)

Im Laufe der Jahre habe ich viel im Bereich Design gemacht und stand so oft vor Situationen, bei denen die Vision einer Webseite oder die Experience nicht voll umgesetzt werden konnten, weil das CMS oder der interne Workflow zu komplex für diejenigen war, die die Webseite verwalteten.

Es machte also Sinn, für interne Problemstellungen wie Prozess, Workflow und Technologie  auf meine Erfahrungen mit UX zurückzugreifen.

Ich erinnere mich noch gut an Deinen Workshop auf der MobXCon 2011 (Thema: „How To Do Content Strategy“), damals haben wir noch das generelle Thema diskutiert, ob dem Nutzer im mobilen Internet nur wenig Text zugemutet werden kann oder nicht. Inzwischen gibt es eine wachsende Zahl von mobile-only Usern und Du bist zur glühenden Verfechterin des adaptiven Contents geworden, der auf allen Kanälen ausgeliefert werden kann. Spielt der Nutzungscontext Deiner Meinung nach gar keine Rolle mehr?

Karen: Das ist auch das Thema meines Vortrags dieses Jahr: “Adaptive Content, Context, and Controversy”. Ich bin der Meinung, dass Kontext wichtiger ist als die Art eines Endgerätes, wenn es darum geht die Nutzererfahrung zu gestalten. Wenn wir Informationen darauf beschränken, was die Nutzer eines bestimmten Endgerätes vermutlich erwarten laufen wir Gefahr, dass die User Experience zu wünschen übrig lässt – also ob ‘Handy’ immer ‘unterwegs’ bedeuten würde, oder ‘Tablet’ immer mit ‘entspanntem Lesen’ gleichzusetzen wãre.

Wenn wir jedoch die Experience darauf ausrichten, was wir tatsächlich über den Geräte-Kontext des Nutzers wissen – Ort, Tageszeit usw. – können wir eher eine gute Experience liefern. Allerdings sind selbst die Daten, die wir von Gerätesensoren erhalten nur ungenaue Näherungswerte für den tatsächlichen Kontext eines Geräts.

Ich würde behaupten, dass es meist besser wäre allen Nutzern, unabhängig davon, welches Gerät sie benutzen, die gleichen Informationen und Services  zu bieten. Sicherlich gibt es Szenarien, in denen wir die Experience auf Endgerät und Kontext anpassen müssen, diese sind jedoch selten und sollten vorsichtig angegangen werden.

Wie gehst Du mit Hilfstexten um, die den User anleiten sollen, etwa bestimmte Einstellungen an ihrem Browser zu ändern? Teilweise finden sich präzise Anleitungen für einen bestimmten Browser z.B. in rechtlichen Texten, Datenschutzrichtlinien etc.

Karen: Weißt Du, genau das bespreche ich ja in meinem Vortrag als ein positives Beispiel, wo die Anpassung von Inhalten auf Endgeräte, OS oder Browser Sinn machen könnten. Mein Beispiel ist die US-Telefongesellschaft AT&T, die Support-Inhalte für mobile Endgeräte anbietet. Hier kann und muss die Form des Endgeräts genutzt werden, um Inhalte zu planen – denn die Inhalte handeln ja buchstäblich von dem Gerät!

Aber selbst in diesem Anwendungsfall darf die Firma Inhalte, die sie anbietet nicht einschränken, sondern lediglich nach Geräte-Typ priorisieren: Ich habe ein iOS-Gerät und daher sollte das die Grundeinstellung sein. Aber ich möchte vielleicht dennoch die Support-Seiten für Android-Nutzer besuchen, da ich einem Freund aushelfen will, dessen Android kaputt ist .

Siehst Du das Hauptproblem für adaptiven Inhalt (Inhalt der von verschiedenen Gerätegruppen adaptiert und verschieden wieder verwendet werden kann) eher im technischen oder im redaktionellen Bereich?

Karen: Definitiv im redaktionellen Bereich. Etwa 90% redaktionell und nur 10% technisch.

Die technischen Probleme für das Speichern und Targeting von Inhaltsvarianten haben wir weitgehend behoben. Es gibt nur noch einige wenige technische Beschränkungen beim Geräte-Targeting. Wir können  bestimmte Geräte-Charakteristiken via Web nur ungenau erfassen, wie zum Beispiel, ob das Gerät einen Touchscreen hat oder wie viel Bandbreite zur Verfügung steht.

Für die meisten Unternehmen besteht die Herausforderung jedoch darin, genug gute Inhalte zu schaffen, die dann eine personalisierte und kontextbezogene Erfahrung mit Relevanz für den Nutzer bieten. Das kann schnell schiefgehen und ins Peinliche und Eigenartige übergehen. Man sollte schon einiges ins Testen und Feineinstellen des Ansatzes investieren.

Mit dem Erfinder des Responsiven Webdesigns Ethan Marcotte zusammen veröffentlichst Du Podcasts, in denen die Macher von ihren Erfahrungen in der Entwicklung von responsiven Webseiten berichten. An welchen Themen beißen sich die meisten Deiner Interviewpartner die Zähne aus?

Karen: Am Priorisieren und Kürzen von Inhalten. Damit beschäftigen wir uns in fast allen Podcasts, sowie in den Workshops, die Ethan und ich für Firmenkunden durchführen.

Responsive bietet diesen Unternehmen eine große Chance ihren Inhalts-Fokus ganz und gar auf den Nutzer zu setzen. Aber das kostet Zeit und muss zuerst ausdiskutiert und debattiert werden. Es ist meist langwieriger als das Neugestalten einer Webseite.

Wie kommt es Deiner Meinung nach, dass inzwischen zwar viele Webseiten mobil sind, jedoch nach wie vor große Probleme und Lücken bei der Nutzung auf mobilen Geräten aufweisen? Wie kann man das verbessern?

Karen: Unternehmen ändern sich langsamer als Nutzer. Ich denke, dass viele von ihnen den großen Richtungswechsel im Kundenverhalten noch immer nicht verstanden haben, selbst wenn 50% ihres Web Traffic von mobilen Endgeräten kommt. Oft gibt es einfach nicht genügend Zeit oder Budget für mobile oder responsive Initiativen.

Ethan und ich sehen häufig, dass Unternehmen ihre bestehende Desktop-Site einem responsivem Retrofit unterziehen (was im Grunde bedeutet, dass der bereits bestehenden Seite einfach nur einige Breakpoints hinzugefügt wurden, um sie responsive zu machen). Dies mag zwar eine annehmbare Zwischenlösung für Teams sein, die kurzfristig eine mobile Seite schaffen wollen, eine dauerhafte Lösung ist dies jedoch auf keinen Fall. Wenn ich mit Teams spreche scheint mir jedoch oft die Einstellung zu entgegnen, dass sobald ihre Site “responsive” ist, sie sich nie mehr um Mobiles kümmern müssen! Eine wirklich effektives responsives Design muss von Grund auf geschaffen werden.

Ein frühes Versprechen des Internets war die Verfügbarkeit von hypertextuellen Verlinkungen. Was ist daraus geworden?

Karen: Ich erinnere mich an diese Zeit! Ich glaube, dass heutzutage der Fokus mehr auf Suche als auf Hypertext liegt. Und natürlich stufen die Such-Algorytmen Hyperlinks als wichtige Signale ein. Aber statt einem Netz an Links zu folgen, suchen wir einfach genau nachdem, was wir wollen.

Die Indizierung von Text durch Google nutzt inzwischen verschiedene Algorythmen, um relevante Inhalte zu einer Suchanfrage anzuzeigen. Eine ganze Industrie hat sich darauf spezialisiert diese Anzeige zu manipulieren. Hat adaptiver Content in diesem System, das immer nur auf fertige Seiten zielt, überhaupt eine Chance?

Karen: Eine ganz tolle Frage, die mich sehr fasziniert. Ich habe diese mit einigen SEO-Experten diskutiert, um zu verstehen wie Google mit adaptiven Inhalten umgeht. Die Antwort dazu habe ich jedoch noch nicht.

Meiner Meinung nach ist weltweit keine andere Organisation mehr als Google der Idee verschrieben, dass Unternehmen einzelne Seiten nutzen, um bestimmte Inhaltssets darzustellen.

Oder hier ein anderes Szenario. Stellen wir uns einmal eine Welt vor, in der ein Unternehmen beschließt adaptive Inhalte für verschiedene Geräte zu schaffen. Es wartet also mit  jeweils leicht angepassten Informationen für Desktop, Smartphone und Google Glass auf. Google mag aber gerätespezifische Inhalte nicht unbedingt. Wenn man Inhalte unabhängig vom Gerät schafft, dann würde Google  wollen, dass man eine “autorisierte” Referenz zur Desktopversion schafft. Wenn man aber auf Google Glass verschiedene Inhalte einspeist, dann erkennt es den Gerätetyp nicht. Hat Google da gerade ein Produkt geschaffen, dass nicht ‘suchbar’ ist?

Welcher Player meistert die Herausforderung des adaptiven Contents Deiner Meinung nach aktuell am besten?

Karen: Ich denke, auf der Marketingseite wird Spannendes geleistet. Beispielsweise mit personalisierten Nachrichten, die je nach Informationen zum Nutzer und anderen Anhaltspunkten geschaffen wurden. Viele Händler haben ein ziemlich robustes System für das A/B Testing und das Liefern von gezielten Angeboten.

Rasmus, jetzt interessiert mich von Deiner Seite aus noch: Gibt es in Magnolia bereits Möglichkeiten mit adaptivem Content umzugehen die in anderen CMS noch fehlen? Oder umgekehrt: welche Möglichkeiten fehlen Magnolia noch um den Content von morgen anbieten zu können?

Rasmus: Magnolia besteht aus einem App Framework, dass es erlaubt Apps je nach Inhaltstypen zu erstellen — so können strukturierte und präsentations-agnostische Inhalte auf fokussierte und effiziente Weise geschaffen werden. Die Inhalte dieser Apps können auf jede Art von Touchpoint übertragen werden. Das ist unser Ansatzpunkt.

Aber wenn wir uns mehr über adaptive Inhalte Gedanken machen, dann muss an das Balancieren von technologischen Möglichkeiten und redaktionellen Herausforderungen gedacht werden. Wenn wir Werkzeuge für eine Omichannel Erfahrung bereitstellen, die sich die Vorteile von adaptiven Inhalten zu Nutze macht, müssen wir auf die Verlinkung von Redaktion und Publikum achten. Technologien werden nutzlos, wenn der Redaktion nicht die richtigen Werkzeuge in die Hand gegeben wird, um touchpoint-relevante und wiederverwendbare Inhalte zu produzieren.

Magnolia beschloss bereits vor langer Zeit seinen Fokus auf die Redaktions-Experience und strukturierte, präsentations-unabhängige Inhalte zu setzen.

Vielen Dank für das Interview und einen gelungenen Vortrag auf der Magnolia Conference in Basel.

Das Interview führte Annika Brinkmann, Trainerin, Konzepterin und Designerin mobiler und responsiver Webseiten. mobile-knowledge.de

Übersetzung: Corinna Rogers

Beitragsbild

Dieses Interview wurde am 06.06.2016 zuerst veröffentlicht.

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