[Kommentar] 8 Vorurteile zu Mobile, die schnell vergessen werden sollten

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Mobile Marketing hat  sich nun mehr und mehr nicht nur in unserem Alltag sondern auch in den Köpfen der Entscheider in Unternehmen zu etabliert. Doch ist es auch hier so wie in so vielen jungen Disziplinen, nach kürzester Zeit wimmelt es von Vorurteilen und vermeintlich einfachen Lösungen. Zeit, mit ein paar dieser unzureichenden und fehlleitenden „Strategien“ aufzuräumen und sie bitte sehr schnell zu vergessen.

1. Mobile ist kein weiterer Kanal

Wer heute noch in isolierten „Kommunikationskanälen“ denkt (und handelt) ist ohnehin nicht besonders gut beraten, denn die Durchlässigkeit aller Bereiche ist offensichtlich. Es war von Anfang an klar, dass es nicht ausreichen würde, seine Inhalte oder Werbung einfach noch einmal in einem „Kanal Mobile“ abzukippen. Das mindeste ist, die Inhalte für die mobile Nutzung zu optimieren, aber auch das reicht letztlich nicht. „Omnichannel“ und „Customer Journey“ sind die neuen Begriffe, die zu umschreiben versuchen, was genau zu beachten ist. Erläuterungen dazu folgen.

2. Mobile ist mehr als App und mobile Web

Mit dem Aufkommen der App Stores machte sich in vielen Unternehmen die Erkenntnis breit, dass eine mobile Strategie her müsse. Gesagt getan: „Wir brauchen eine App!“. Diese Unternehmen haben ihre Erfahrungen gemacht, über die sie heute nicht mehr gern sprechen.

Doch bis heute glauben viele Entscheider, sie wären mit wenigstens mobil-optimierten Webseiten und vielleicht noch einer App, sozusagen „für die schönen Sachen“ durch und könnten sich wieder anderen (wichtigeren) Dingen widmen. Kann man machen, aber dann ist es eben Sch****.

Wer seine (potenziellen) Kunden wirklich zeitgemäß ansprechen möchte, muss sich ganz schnell von der Vorstellung befreien, die optimale Lösung wäre so einfach wie ein Smartphone kompakt ist. Siehe hierzu auch die folgenden Punkte.

3. Baut keine Silos!

Neidisch schaut mancher auf Unternehmen wie Apple, die es ganz hervorragend geschafft haben, die eigenen Kunden durch einen Lock-In-Effekt an sich zu binden. Manch Kritiker spricht hier eher vom Stockholm-Syndrom, aber egal wie man es nennt, Marketers bekommen immer feuchte Augen, wenn sie sehen, dass sich Kunden derart an eine Marke binden lassen. „Das will ich auch“ schallt es da aus den Führungsetagen und schon werden zumeist native (und damit teure) Apps beauftragt, die einen ebenso lukrativen „Walled Garden“ aufbauen sollen.

Noch sitzen (nicht nur, aber auch) manche Medienunternehmen dem Irrtum auf, ihre Marken wären stark genug, ihre Nutzer hinter wie auch immer genannten Wänden zu versammeln und halten zu können. Viele Einzelhändler glauben, dauerhaft mit einer eigenen App beim Kunden erfolgreich zu sein. Banken und Sparkassen vertrauen ebenfalls noch felsenfest auf ihre eigene Markenstärke bei den Konsumenten. Dies sind für den Tag heute vielleicht noch gangbare Ansätze, für die Zukunft taugen sie nicht mehr, denn die Nutzer sind schon viel weiter.

Sie springen von einem Device zum nächsten, wechseln die Dienste mit einer Leichtigkeit, die für manchen Markenverantwortlichen beängstigend ist. Nichts hat Bestand, alles fließt und das nicht nur bei Social Media. War es gestern noch Facebook, sind es heute Snapchat, WhatsApp und Pinterest. Und – um die Verwirrung komplett zu machen – entgegen so mancher Einschätzung von Experten ist es immer noch Facebook. Doch die neuen Dienste versammeln heute eben auch Millionen Nutzer. Andere werden kommen, einige von den heutigen werden sterben.

Und die Nutzer? Sie ziehen weiter, über den nächsten Hügel zur nächsten, grüneren Wiese, zum nächsten El Dorado. Warum auch nicht? Illoyal? Flatterhaft? Flexibel? Egal wie man es nennt, es ist das moderne Leben und Unternehmen müssen dabei sein. Nicht jedes überall und immer als erstes. Aber bevor man jedem Trend schlimmstenfalls hechelnd hinter her rennt, sollte man seinen eigenen Weg und den, den man mit ganz neuen Ansätzen oder vielleicht gemeinsam mit der Konkurrenz gehen könnte, zumindest schemenhaft sehen können. Und diese Dynamik erfahren auch Branchen, die dies niemals für möglich gehalten hätten, einige früher als die anderen. Hatte ich das Wort „Strategie“ schon mal erwähnt?

4. Intention berücksichtigen

Von Anfang an gepredigt: Es ist der Kontext, der bestimmt, wann welcher Service erfolgreich sein würde. Das war vor ein paar Jahren sicherlich noch „gut gebrüllt“, damals wussten wir noch nicht viel über das mobile Nutzungsverhalten. Heute wissen wir etwas mehr, aber auch noch nicht alles, denn wer hat schon eine Kristallkugel. Vor allem kann niemand die Dynamik in der Adaption von Diensten (oder auch deren Verweigerung) vorhersagen.

Doch was wir wissen ist, dass es nicht reicht, die spärlichen demographischen Daten, den Ort und die Uhrzeit zu berücksichtigen, um passende Angebote zu machen. Entscheidend ist die Absicht, die Intention des Nutzers. Ist der Mann, der gerade zu einem Zeitpunkt, der nicht kurz vorm Valentinstag in der Damen-Unterwäsche-Abteilung unterwegs ist wirklich daran interessiert, das aktuelle Angebot für Lingerie zu erhalten? Möchte jeder, der vor einem Geschäft in einem Einkaufszentrum stehen bleibt, wirklich einen Gutschein von dem Geschäft haben?

Es gilt heraus zu finden, was die Absicht ist und nicht mit Schrot auf alles zu schießen, was in die Nähe oder als Ziel für die eigenen Maßnahmen so halbwegs in Frage kommt. Hierbei helfen nicht immer die neuesten Technologien sondern manchmal ganz tradierte Verfahren. Was mich zum nächsten Punkt bringt:

5. Nur weil es geht, muss man es nicht tun

Heute sind viele Dinge technisch machbar, sogar erschwinglich. Doch das heißt nicht, dass man sie auch tun muss. Nicht jeder freut sich unbändig darauf, endlich auch auf seinem Smartphone von Werbebotschaften erreicht zu werden. Also ist es vielleicht nicht immer so schlau, selbst wenn man bei sich Beacons anbringen kann, darüber auch breit gestreut, die eigenen Sofortrabatte zu verteilen.

In erster Linie gilt es, Kampagnen gut zu planen, die Zielgruppen und die Form und Frequenz der Ansprache sorgfältig auszuwählen. Und dann sollte man sich immer noch einmal zurück treten und sich die Frage stellen, ob man wirklich auf echte Bedürfnisse bei den Menschen trifft. Weniger ist mehr und manchmal ist es besser, Dinge einfach zu lassen, wenn man seine tatsächlich interessierte Zielgruppe und deren Wünsche nicht sauber treffen kann. Andere Maßnahmen sind dann vielleicht besser oder man spart das Geld einfach.

6. Stoppt die Datensammelwut!

Manchmal hat man den Eindruck, dass Unternehmen sich erst einmal sozusagen prophylaktisch die Rechte an Datenerhebungen einräumen lassen, ohne dass diese Daten heute zur eigentlichen Leistungserbringung benötigt werden. Frei nach dem Motto „Was ich hab, hab ich“ werden hier Daten gesammelt, die oftmals überhaupt nicht verwendet werden.

Es gilt doch nicht, möglichst viele Daten zu erheben, um dann irgendwann einmal darüber nachzudenken, was man damit machen könnte oder ihre (rechtlich fragwürdige) Veräusserung gleich mit einzuplanen. Es geht darum, die wichtigen Daten von seinen Nutzern zu erhalten. Daten, die den Service möglich machen, ihn verbessern und erweitern helfen. Transparenz über die erhobenen Daten ist hier das Gebot, denn die Nutzer sind nicht nur zur Mithilfe bereit, wenn der Service für die gut also nutzenstiftend ist, auch die Marke erzeugt das Vertrauen in den sorgsamen Umgang mit den Daten, auch in deren sparsamer Erhebung. Diesen Markenwert sollte man nicht auf’s Spiel setzen.

7. Kundenservice können nicht nur Menschen

Wir befinden uns gerade in der vierten industriellen Revolution, in der Software und Roboter immer mehr Aufgaben übernehmen, die bisher nur von Menschen erledigt werden konnten. In einigen Sport-Redaktionen kommen mittlerweile zwei Drittel aller Sport-News von der eingesetzten Software und nicht mehr von Redakteuren. Das Unternehmen Lowe testet bereits Kundenservice-Roboter in seinen Baumarkt-Filialen. Vorteil der Roboter? Mehrsprachigkeit, sie kennen alle Produkte, deren Lagerbestände und den Regalplatz. Sie stellen den Kontakt zu einem Verkäufer her, wenn sie nicht mehr weiter wissen und können auf ihren Displays noch Werbung ausspielen.

Waren vorher die qualifizierten Mitarbeiter damit beschäftigt, die Kunden bis in den richtigen Regal-Gang zu begleiten, können sie jetzt komplexere Fragestellungen bearbeiten. Ja, einige werden ihre Arbeitsplätze verlieren, was tragisch für die Betroffenen ist. Doch auch dies ist im Rahmen solcher Umwälzungen weder neu und leider auch nicht vollständig vermeidbar.

8. Don’t Believe The Hype!

Wir haben gerade in diesen Tagen den wohl kürzesten App-Hype erlebt, der jemals durch unsere Medien geschwappt ist. Die Live-Streaming-Apps Meerkat und das Pendant von Twitter Periscope erzeugten ein wie schon seit langem nicht mehr da gewesenes Medienecho. Doch so schnell wie die Flut kam, war sie auch schon wieder abgelaufen. Dieses Tempo war tatsächlich sogar für unsere schnelle Branche bemerkenswert.

Natürlich werden Medien, Berater und Agenturen nicht müde, immer wieder neue „Säue durch’s Dorf zu treiben“. Das gehört eben auch zu ihren Aufgaben. Doch sollte man sie immer bei jeder Meldung – wie in den vergangenen Wochen gerade wieder die unglaublich vielen Reviews und Expertenmeinungen zur Apple Watch – genau als das sehen, was sie bei Berücksichtigung der Interessen des Absenders eben sind: Im Zweifel Marketing, für das eigene Medium (Klicks) oder das Produkt.

Und bei den US-amerikanischen Quellen sollte man immer bedenken, dass die Marktverhältnisse im Hinblick auf Smartphone-Hersteller und Betriebssysteme anders sind als unsere hier in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Einschätzungen der US-Kollegen für ihren Markt sind für unsere Märkte eben nicht immer ohne entsprechende Anpassung und Interpretation übertragbar.

Angesichts der sich sehr schnell entwickelnden mobilen Märkte und den Umsätzen, die hier in Zukunft erzielt werden können, ist es an der Zeit, die Customer Journey (Omnichannel) wirklich zu verstehen und aufzuhören, in suboptimale oder nicht zu Ende gedachte Maßnahmen zu investieren. Die Herausforderung liegt darin, die Komplexität der zusammen spielenden Technologien und das veränderte Nutzerverhalten zu meistern und nicht den Versprechungen zu erliegen, mit einfachen Lösungen für diese komplexen Fragestellungen erfolgreich zu sein.

Dies alles sind keine neuen, bahnbrechenden Erkenntnisse und diese kleine Liste erhebt auch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Doch angesichts der Untätigkeit, Langsamkeit oder der Qualität mancher Projekte seien mir diese Hinweise gestattet. Ich freue mich auf eine angeregte und zielführende Diskussion.

Beitragsbild: Shutterstock

Über Heike Scholz 429 Artikel
Nach über zehn Jahren als Strategieberaterin für internationale Unternehmen gründete die Diplom-Kauffrau 2006 mobile zeitgeist und machte es zum führenden Online-Magazin über das Mobile Business im deutschsprachigen Raum. Heute ist sie ein anerkannter und geschätzter Speaker und gehört zu den Köpfen der deutschen Internet-Szene. Weiterhin ist sie Beiratsmitglied für die Studiengänge Angewandte Informatik und Mobile Computing an der Hoschschule Worms. Als Co-Founder von ZUKUNFT DES EINKAUFENS, begleitet sie die Digitale Transformation im stationären Einzelhandel. Sie berät und trainiert Unternehmen, die sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und fördert mit ihrem Engagement die Entwicklung verschiedener Branchen und Märkte.

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