Mobile Apps: Nutzer sind müde

app fatigue

Martin Weigert schrieb in seiner Kolumne „Weigerts World“ bei t3n darüber, warum heute weniger Gründungen zu beobachten seien. Ich möchte hier auf seinen zweiten Punkt zu mobile Apps, die App-Müdigkeit, eingehen und diesen Effekt etwas ausführlicher beschreiben.

Unter App-Müdigkeit oder im englischsprachigen Raum „App Fatigue“ genannt, versteht man den deutlich zu beobachtenden Effekt, dass sich zwar die Zeit, die Nutzer in Mobile Apps verbringen kontinuierlich steigt, jedoch die Zahl der mobile Apps, die regelmäßig genutzt wird, stagniert.

Mehr Zeit heißt nicht mehr Apps

Die Nutzer von mobilen Applikationen haben in den vergangenen Jahren gelernt. Nach anfänglichem Entdeckergeist, immer wieder neue Apps mit großer Begeisterung auszuprobieren, herrscht heute weitestgehend Routine im Umgang mit den mobilen Geräten. Jeder hat für sich heraus gefunden, welche wichtigen Problemlöser auf dem Device sein müssen. Treffen diese Apps auf ein wichtiges Bedürfnis, wird der Nutzer auch nach neuen und ggf. besseren Apps schauen, um die bisherigen zu ersetzen. Neue Apps kommen so natürlich nur sehr selten hinzu.

Relevant Set

Je nach Studie sind es zwischen drei bis zehn mobile Apps, die wir regelmäßig nutzen.  Man bezeichnet diesen kleinen Kreis der intensiv und regelmäßig genutzten Apps als Relevant Set. Ein veränderter Kontext, zum Beispiel während des Urlaubs, verändert temporär einen Teil dieses Relevant Set. Doch im Alltag ist man schnell wieder bei seiner Handvoll lieb gewonnenen und als nützlich empfundenen Applikationen.

Nielsen fand in seiner Untersuchung im vorletzten Jahr heraus, dass im Schnitt knapp 27 verschiedene Apps pro Monat genutzt werden. Erheblich mehr als im Relevant Set anderer Untersuchungen und vermutlich auf die unterschiedlichen Untersuchungsparameter (Intensität, Regelmäßigkeit) zurück zu führen.

Basics einer Mobile App

Wie kommt man nun als Anbieter in dieses Relevant Set der Nutzer? Zunächst muss die eigene App einfach, relevant, konsistent und verlässlich sein.

Einfachheit: Hierzu gehört die intuitive Bedienbarkeit genau so wie die schnelle Erkennbarkeit des Nutzens, den die App für den Nutzer haben wird. Dies ist sicherlich sehr davon abhängig, wen man mit seiner App adressiert. Ich kann bis heute für mich keinen Nutzen in der App Yo erkennen, nutze sie folglich auch nicht. Dies ist für sehr viele Menschen durchaus anders.

Relevanz: Ein No-Brainer, denn ist eine App für den Nutzer nicht relevant, ist eine Nutzung sehr unwahrscheinlich.

Konsistenz: Menschen sind Gewohnheitstiere. Wenn eine App jeden Morgen neue Inhalte hat, dann sollte das auch wirklich jeden Tag so sein.

Verlässlichkeit: Natürlich muss die App das tun, was sie soll und zwar immer. Besser noch, die Erwartungen der Nutzer werden noch übertroffen.

Ohne diese Grundvoraussetzungen wird es jede App schwer haben, regelmäßig genutzt zu werden.

Games sind anders

Nun ist die App-Müdigkeit nicht in jedem Bereich der mobilen Apps gleich groß. Bei Games zum Beispiel gehört es oftmals dazu, dass eine App eine gewisse Lebensdauer hat. Wenn der Spieler das Spiel „durch gespielt“ hat, wird er die App nicht mehr nutzen. Natürlich versuchen die Spieleentwickler diese Lebensdauer zu verlängern. Angry Birds macht das zum Beispiel ganz hervorragend.

In anderen App-Kategorien ist es sehr viel schwieriger, eine Nutzung über einen längeren Zeitraum zu erreichen, zum Beispiel bei den mobilen Services, also alles von To-Do-Listen bis Check-In-Apps wie Swarm. Auf den ersten Blick sind solche Dienste erst einmal cool, doch stellt sich meist sehr schnell heraus, dass sie die Probleme der Nutzer gar nicht oder nur unzureichend lösen, so dass die Nutzer diese Apps sehr schnell wieder vergessen oder gleich löschen.

Überlegenheit des Mobile Web

Trotz der Entwicklungen hin zu den Single Purpose Apps gibt es viele Situationen, in denen der Nutzer einfach nur schnell etwas erledigen will, zum Beispiel einen Tisch in einem Restaurant buchen. Er wird über die mobile Suche nach dem Restaurant suchen und dort auch gleich buchen wollen. Weder lädt er sich die App des Restaurants herunter noch die eines Buchungsservices. Hier haben solche Apps bei einem Durchschnittsnutzer schlicht keine Chance, ins relevant Set zu gelangen. Hier sind die Stärken des mobilen Internets von Apps kaum zu überwinden.

Gefunden werden in den App Stores

Neue Apps müssen gefunden werden. Doch dies ist bei rund 4,2 Millionen Apps in den beiden großen App Stores (Google 2,2 Mio., Apple 2,0 Mio.) nicht so einfach.

Schauen wir einmal zurück in die 1990er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt diskutierten wir massiv darüber, dass es zu viele Webseiten geben würde und die Nutzer nichts mehr finden würden. Dies war eine ganz normale Entwicklung in der Ausbreitung des Internets. Google und noch ein paar andere Suchmaschinen haben dieses Problem gelöst und heute ist für uns die Vielfalt der Inhalte ganz normal und durchaus geschätzt.

Nun haben die mobile Apps den gleichen Weg eingeschlagen. Die schiere Zahl erzeugt Unübersichtlichkeit. Doch auch dies wird durch immer weiter verbesserte Suchmöglichkeiten hoffentlich bald behoben werden.

Goldgräberstimmung? Nicht mehr.

Ist also die App-Müdigkeit ein Grund dafür, dass es weniger Gründungen gibt? Sicherlich. Die Verdienstmöglichkeiten für Entwickler haben sich in den vergangenen Jahren drastisch verschlechtert. War es 2007/2008 noch möglich, eine einfache App zu programmieren, sie in einen App Store zu stellen und ohne viel Zutun Downloads zu generieren, sieht die Welt heute ganz anders aus.

Der Aufwand, der für eine App, die auch bei den Nutzern Beachtung findet, schon bei der Programmierung erbracht werden muss, ist ungleich höher. Dann reicht das Einstellen in einen App Store als App Marketing schon lange nicht mehr aus. Das sich hier in den letzten Jahren heraus gebildete Instrumentarium im App Marketing und der App Store Optimization (ASO) ist riesig und verschlingt entsprechende Budgets.

Hinzu kommt, dass es zwar notwendig ist, viele Downloads zu generieren, um je nach App eine kritische Nutzerzahl zu erreichen, es aber ebenso wichtig ist, das Engagement der Nutzer ständig wieder zu befeuern und sie zur Nutzung zu animieren.

Hiefür muss man wissen, wie sich die Nutzer in der App bewegen, wann sie sie intensiv nutzen, wann weniger, welche Funktionen sie nutzen und wann sie vielleicht am leichtesten zu In-App-Purchases zu verführen sind. Entsprechende Analysetools können heute riesige Mengen an Daten erfassen und zur Verfügung stellen. Diese richtig auszuwerten, zu interpretieren und aus ihnen Handlungsoptionen abzuleiten gehört heute eben auch zum Skill Set, wenn man mit seiner App erfolgreich sein will.

Diese zunehmende Komplexität erfordert heute ganze Teams, die eine App erfolgreich machen. Die Erfolgsgeschichten des einzelnen Entwicklers, der zu Ruhm und vielleicht auch Reichtum mit einer einzelnen, selbst entwickelten App gekommen ist,  wird es immer geben. Aber er ist die absolute Ausnahme. Sonst heißt die Erfolgsformel: Innovative Idee, gutes Team, viel Arbeit und ausreichend Budget.

Infografik zur App Performance von Exicon: Bei uns auf Pinterest

Über Heike Scholz 429 Artikel
Nach über zehn Jahren als Strategieberaterin für internationale Unternehmen gründete die Diplom-Kauffrau 2006 mobile zeitgeist und machte es zum führenden Online-Magazin über das Mobile Business im deutschsprachigen Raum. Heute ist sie ein anerkannter und geschätzter Speaker und gehört zu den Köpfen der deutschen Internet-Szene. Weiterhin ist sie Beiratsmitglied für die Studiengänge Angewandte Informatik und Mobile Computing an der Hoschschule Worms. Als Co-Founder von ZUKUNFT DES EINKAUFENS, begleitet sie die Digitale Transformation im stationären Einzelhandel. Sie berät und trainiert Unternehmen, die sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und fördert mit ihrem Engagement die Entwicklung verschiedener Branchen und Märkte.

1 Kommentar

  1. …sehr interessant, auf meinem Handy sind nur wenige Apps, dennoch: ich dachte, die App Economy boomt und App Entwickler verdienen gutes Geld, doch der Einblick, den Sie geben sagt, so einfach ist das nicht – man lernt immer dazu…

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