Smartphones sind wie Zigaretten. Sie machen süchtig, oder?

Wecker

Es ist Montag , 6:45 Uhr in der früh. Mein Wecker klingelt. Ich muss aufstehen um mich rechtzeitig für die Arbeit fertig zu machen. Vor ein paar Jahren hatte ich noch einen richtigen Oldtimer als Wecker, heute macht das mein Smartphone – ein iPhone 4S von Apple. Mit einem schnellen Wisch erlischt der nervige Weckerklang.

Bevor ich aufstehe checke ich noch WhatsApp, Facebook und meine Mails. Ich könnte in den vergangen acht Stunden etwas wichtiges verpasst haben. Etwas verpassen kommt für mich nicht in Frage. Ich bin ein Smart Native und folglich immer erreichbar. Im Fachjargon nennt man das „Always On“ oder „Always-in-Touch“.

Tatsächlich habe ich fünf neue Gruppennachrichten bei WhatsApp, zehn neue E-Mails und eine Vielzahl unwichtiger Statusupdates bei Facebook. All das überfliege ich schnell bevor ich mich mit meinem iPhone auf den Weg ins Bad mache. Im Bad angekommen rufe ich meine Radio-App auf. Ich gehe nirgends ohne mein iPhone hin. Egal wo ich bin.

Nach der täglichen Grundreinigung bewege ich mich zur Küche und bereite das Frühstück vor.  Zwei Toasts mit Nutella und einem Kaffee. Während des Essens lese ich die neuesten Tweets bei Twitter, scrolle mich schnell durch Feedly und dann ist die Zeit auch schon wieder rum. Mein iPhone kommt in die Hosentasche und ich mache mich auf den Weg ins Büro. Typischerweise werde ich von einem Kollegen mit dem Auto abgeholt, aber heute nehme ich den Zug.

Früher Wecker. Heute Smartphone.Ich stehe am Bahnhof und warte ungeduldig auf den Zug. Zum Glück habe ich neulich ein Spotify-Premium Abonnement abgeschlossen und kann während des Wartens Musik hören. Nach ein paar Minuten kommt der Zug und ich suche mir einen Platz. Gegenüber von zwei älteren Damen ist noch etwas frei und ich setze mich mit meinen Kopfhörern im Ohr hin.

Als ich mein iPhone heraus hole, um meine ToDo-Liste für den Tag zu erstellen, verdrehen die beiden Omis die Augen. Ich frage mich, was los ist und schaue mich kurz um. Zum ersten mal seit ich aufgestanden bin, nehme ich mein Umfeld gezielt wahr. Links schräg gegenüber von mir sitzt ein ca. 16 Jahre alter Junge. Er hält ein Samsung S3 in der Hand. Es scheint, als spiele er irgendein Jump ’n‘ Run Game. Direkt rechts neben mir ist ein junges Mädel. Sie hat ebenfalls Kopfhörer im Ohr. Ihr Kopf ist gesenkt und ihre Augen fokussieren sich auf ihr iPhone. Ich erhasche einen kurzen Blick auf das Display. Sie chattet mit einer Freundin in WhatsApp. Das Bild erstreckt sich über den gesamten Zug.

Ich packe mein iPhone wieder in die Hose. Die ToDo-Liste kann ich später noch erstellen. Die Situation gibt mir zu denken. Es ist kein Wunder, dass die zwei Damen mich so angeschaut haben. Wahrscheinlich dachten sie sich „Schon wieder so einer“.  Die jüngeren Menschen von heute haben sich verändert. In der Bahn redet man nicht mehr, man fokussiert sich auf sein Smartphone. Ich denke weiter nach und konzentriere mich bewusst auf das hier und jetzt. Egal ob in der Bahn, im Auto, im Cafe, im Bett oder sonst wo. Egal ob man mit Freunden unterwegs ist oder alleine.  Das Smartphone steht bei uns im Vordergrund.

Meine Gedanken gehen weiter. Ich schweife ab und merke im Unterbewußtsein wie mein Kopf nach meinem iPhone verlangt. Ich will es rausholen um zu sehen, was es Neues gibt. „Scheisse!!!“ denke ich mir.  Ich habe doch erst vor zwei Minuten das Ding in der Hand gehabt. Bin ich etwa süchtig? Niemals. Raucher sind süchtig. Nach Zigaretten. Ich hasse diese Dinger. Sie stinken, machen abhängig und töten Menschen. Im Schnitt bekommt ein Raucher alle 30 Minuten Lust auf eine Zigarette. Der Körper schreit nach Nikotin. Zum Glück ist Rauchen in den letzten Jahren uncool geworden. Die Sucht nach Zigaretten kann man unmöglich mit meiner Beziehung zu meinem iPhone vergleichen.

Ich bin fast da. Nur noch eine Minute bis zu meiner Haltestelle. Dann noch ein kurzer Fußweg und der Arbeitstag kann beginnen. Es war eine interessante Fahrt. Schon lange habe ich nicht mehr so kritisch über mein Verhalten und meine Umgebung nachgedacht. Ohne den Blick der deutlich älteren Gesellschaft wäre das wahrscheinlich nicht passiert. Jetzt reicht es aber auch. Die zehn Minuten Bahnfahrt waren lange genug. Ich stehe auf und gehe zur Bahn-Tür. Gleich bin ich wieder frei. Frei von Blicken. Meine Hand gribbelt schon. Sie kann es kaum erwarten.

Die Tür geht auf und ich steige aus. In sekundenschnelle ist mein iPhone vor meinen Augen. Das Display zeigt nur die Uhrzeit an. Puh, nichts verpasst. Ich bin nicht süchtig, ganz sicher nicht.

Über Manuel Jaeger 7 Artikel
Manuel ist Mitgründer von krittiq, eine soziale Empfehlungsapp für Filme, Serien und Bücher. Vor krittiq studierte er Industrial Engineering an der University of Cambridge.

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